23. September 2005. Bericht von Dr. Zdenek Moravcik in der „Brünner Zeitung“

Gemeinsame tschechisch-deutsche Veranstaltung in Brünn

Erinnerung an den Mährischen Ausgleich vor 100 Jahren

18. September 2005

Am 17. und 18. September wurde in Brünn an den Mährischen Ausgleich vor 100 Jahren erinnert.
Der Veranstalter, die BRUNA, der Verband der Brünner Deutschen in Deutschland, hat mit einer Reihe festlicher Vorträge das bekannte gesetzliche Ereignis aus dem Jahre 1905 gewürdigt.

Der erste Tag zeigte die damalige Stadt Brünn

Die Redner des ersten Tages beschäftigten sich mit der Stadt Brünn um das Jahr 1905, das Jahr des „Mährischen Ausgleichs“. Die tschechische Seite wurde unter anderen durch den Professor Dr. Miloš Štedron aus der hiesigen Masaryk-Universität vertreten. Obwohl dieser kein offiziell ausgesandter Vertreter der tschechischen Universität in Brünn war (die Universität hatte es abgelehnt, sich an dieser Veranstaltung offiziell zu beteiligen), haben die Gäste einen sehr interessanten Vortrag über die tschechischen Musiker in Brünn am Anfang des 20. Jahrhunderts erhalten. Leoš Janácek, der weltberühmte Komponist, wurde als eine der bekanntesten Persönlichkeiten des musikalischen Lebens in Brünn dargestellt. In der damals von heftigen Streitereien der beiden Nationalitäten geplagten Stadt Brünn hat Janácek zwar auch die tschechische nationale Haltung eingenommen, später aber die ihm ähnlichen Größen des musikalischen Lebens in Deutschland doch anerkannt.

Eine sehr interessante Rede von Dr. Erich Pillwein aus dem Vorstand der BRUNA über die deutschen Bürgermeister von Brünn hat die Bürger auf die einst sich sehr schnell und zu Reichtum entwickelnde Stadt aufmerksam gemacht. Im Mittelpunkt stand die Persönlichkeit des Bürgermeisters d'Elvert mit seinen Wohltätigkeiten zu Gunsten der Stadt wie z.B. die Errichtung der bekannten d'Elvertschen Grünanlagen unter dem Spielberg, wo einst nur kahle Flächen zu sehen waren.

Die unter den deutschen Bürgermeistern und deutschen Stadtverwaltung sich schnell entwickelnde Stadt war stets mit dem Einfluß der zahlreichen Brünner jüdischen Unternehmer untrennbar verbunden. Die deutsch-jüdischen Firmen haben der Stadt Brünn bald den Begriff des „österreichischen Manchesters“ verschafft und den Bewohnern von Brünn Reichtum und Wohlstand gebracht. Daran hat Ing. Jaroslav Klenovský in seiner Rede deutlich erinnert.

Dr. Amadeus Sobotka sprach – wie schon Professor Štedron – auf tschechisch über die bekannten Brünner Ärzte des Anfangs des 20. Jahrhunderts. Daher würdigte er besondere Verdienste von Prof. Vanýsek und des Primarius Dr. Bakeš.

Daß die Stadt damals auch Persönlichkeiten hatte, die in der weiten Welt bekannt und erfolgreich waren, hat dem Publikum Dipl.-Ing. Markwart Lindenthal aus der BRUNA gezeigt. Der Bruder seines Urgroßvaters, der Dr.-Ing. E. h. Gustav Lindenthal, wurde in den USA als einer der erfolgreichsten Brückenbauer seiner Zeit bekannt. Zu seinen größten Bauten gehört die berühmte Hellgate-Brücke über den East-River in den USA.

Dr. Martin Bachstein stellte die Situation der Brünner Sozialdemokraten in der Zeit vor und nach dem ersten Weltkrieg dar. Die Persönlichkeit des Brünner Rechtsanwalts Dr. Ludwig Czech, der später auch Minister wurde, die Unfähigkeit der Sozialdemokraten, die eigene Parteizersplitterung zu überwinden und die Folgen in späteren Jahren im politischen Kampf mit der Partei von Konrad Henlein gewährten den Anwesenden einen Einblick hinter die Kullisen der damaligen Arbeiterbewegung.

Alle Beiträge wurden simultan übersetzt. Dadurch konnten auch die „einsprachigen“ Zuhörer allen Vorträgen folgen. So auch dem Bericht von Professort Dr. Rudolf Grulich am Sonntag: „Territorialautonomie und Personalautonomie“ war sein Thema. Er zeigte auf, wie die Gesetzgebung des „Mährischen Ausgleichs“ nicht nur in Mähren, sondern in anderen Landesteilen der Österreich-Ungarischen Monarchie (Bukowina, Südtirol ...) und in ferneren Ländern wie Estland noch bis in heutige Zeit das Zusammenleben verschiedener Völkerschaften auf gleichem Territorium regeln.

Herr Professor Dr. Jan Mlynárik aus Prag zog kritische Bilanzen zu den Ereignissen, die vierzig Jahre nach dem „Mährischen Ausgleich“ das Land erschütterten: Mit sehr deutlichen Worten beantwortete er einige ihm zuvor schriftlich vorgelegte Fragen der BRUNA. An dankbaren Äußerungen vor allem tschechischer Zuhörer war zu erkennen, wie tief die Vertreibung der Deutschen aus ihrer böhmischen und mährischen Heimat auch das tschechische Selbstverständnis erschüttert hatte und daß die „Säuberung des Landes“ nach Edvard Benešs Plan im tschechischen Volk durchaus nicht unkritisch betrachtet wird.

Musikalische Darbietungen lockerten die Sonntags-Vorträge auf und beschlossen die Zusammenkunft mit den Nationalhymnen der beiden Völker.

 

Erstes gemeinsames Treffen der Tschechen und Deutschen seit der Vertreibung

Zum ersten mal seit der Vertreibung der Deutschen aus der Stadt im Jahre 1945 gelang es der BRUNA, ein gemeinsames Treffen beider Nationalitäten in Brünn zu veranstalten. An der festlichen Veranstaltung im Französischen Saal des Grandhotels in Brünn haben neben tschechischen und ehemaligen deutschen Brünnern auch Vertreter der Sudetendeutschen Landsmannschaft und einiger anderer Verbände teilgenommen.

Es ist hochzuschätzen, daß die Tschechen und Deutschen die Gelegenheit ergriffen haben, mit dem erfolgreichen Ausgleich von 1905 gemeinsam den guten Willen zu demonstrieren. Anstatt über die bekannten Ereignisse von 1905 und das Ende des gemeinsamen Zusammenlebens auf dem akademischen Boden unfruchtbar zu plaudern, haben die mehr als 100 tschechischen und deutschen Teilnehmer am Samstag im Grandhotel erste Schritte zur Wiedergutmachung des so lange unterbrochenen Zusammenlebens unternommen.

 

Diese Stadt hat die Vertreibung der Deutschen teuer bezahlt

Wer im Grandhotel ganz fehlte, waren die offiziellen tschechischen Vertreter der Stadt und Politik. Der Bundesvorsitzender der BRUNA, K. W. Ziegler, hat die Veranstaltung mit den zitierten Worten des derzeitigen Brünner Bürgermeisters Richard Svoboda aus dem Altbrünner Klostergarten von Mai dieses Jahres eröffnet: „Diese Stadt hat für den Irrsinn der Geschichte teuer bezahlt.“
Es ist anzunehmen, daß die Vertreibung der Bürger aus der Stadt ihrer Väter auch weiterhin auf der Stadt lasten wird, solange sie nicht den Mut und die Kraft aufbringt, sich für die ungerechte Vertreibung zu entschuldigen und das direkte Gepräch mit den einst Vertriebenen aufzunehmen.

Einige Ergänzungen von Markwart Lindenthal 2005-09-27