Wie der Staat mit aller Rechtsmacht den Rechtsstaat niedermäht:
Axel von dem Bussches Forst wird verkauft
Wieviel Unrecht verträgt ein Rechtsstaat? Lassen sich
Selbstverständnis und Anspruch eines Staates, Rechtsstaat zu sein, mit der Hinnahme von
Unrechtstatbeständen, ja ihrer Schaffung überhaupt vereinbaren?
Das ist nicht nur eine rechtsphilosophische Frage, sondern eine, die sich im
wiedervereinten Deutschland konkret und drängend stellt. Die Regierung Kohl hat diese
Frage in ihrem Regierungshandeln bejaht und offensichtlich bewußt gegen das
Grundgesetz verstoßen.
In diesen Wochen stellt sich diese Frage in exemplarischer Zuspitzung wie in einer
Parabel. Der Mann, an den sie sich vor allen anderen richtet, ist nicht mehr Kohl, sondern
sein Nachfolger, Bundeskanzler Schröder.
Vor einigen Tagen ging im Bundeskanzleramt ein Brief ein. Er wies auf einen Vorgang hin,
den man so hat es das Berliner Kammergericht entschieden als einen Akt staatlicher
Hehlerei bezeichnen darf. Die BVVG die Bundes-Verwaltungs- und
Verwertungs-Gesellschaft , also jene Behörde des Bundesfinanzministeriums, die das
in der Sowjetischen Besatzungszone zwischen 1945 und 1949 enteignete Eigentum zu verkaufen
hat, ist derzeit damit beschäftigt, die 420 Hektar Wald der Georgshöhe bei Thale im
Ostharz zu verkaufen. Was diesen Wald zu einem ganz besonderen macht, ist nicht seine
forstliche Qualität. Es ist die Person seines letzten rechtmäßigen Eigentümers: Axel
von dem Bussche.
Bussche, der 1993 starb, wurde nach der Gründung der Bundesrepublik so etwas wie eine
Ikone des jungen Staates. Das alljährlich wiederholte Bekenntnis zu ihm und seinen
Mitverschworenen war die Personifizierung des Anspruchs, ein Rechtsstaat zu sein. Er
repräsentierte das, wovon die Bundesrepublik ihren moralischen Existenzanspruch
herleitete: das Andere Deutschland, jenes, das den kriminellen Charakter des
NS-Regimes nicht nur erkannt, sondern auch den Mut aufgebracht hatte, daraus die
Konsequenz des Widerstandes zu ziehen. Axel von dem Bussche war einer der wenigen, die
bereit waren, sich selbst zu töten, um Deutschland und die Welt von Adolf Hitler zu
befreien.
Im Oktober 1942 wurde Bussche Augenzeuge der Erschießung von etwa fünftausend Juden
auf dem Flugplatz Dubno in der Ukraine. Seither war er entschlossen, Hitler zu töten.
Ende 1943 war alles vorbereitet. Bussche sollte Hitler bei der Vorführung verbesserter
Kampfuniformen für Sekunden an sich drücken und sich zusammen mit ihm durch eine am
eigenen Körper befestigte Sprengladung töten. Ein Bombenangriff, der die Ausrüstung
zerstörte, vereitelte alles. Bussche fuhr zurück an die Front. Den Sprengstoff hatte er
noch in seinem Tornister, als er schwer verwundet in das Zentrallazarett der Waffen-SS
nach Hohenlychen in der Uckermark gebracht wurde eine medizinische
Vorzugsbehandlung für den Ritterkreuzträger des Heeres. Amputiert und schwerstverletzt
überlebte er, weil ihn die Häscher des Führers nach dem 20. Juli nicht entdeckten.
So konnte er der jungen Bundesrepublik hilfreich werden: Anfang der fünfziger Jahre
beim Aufbau der Botschaft in Washington, dann auch andernorts. Die Achtung der Majestät
des Rechts, die Ächtung der Willkür und der Rechtsmanipulation, das war das Fundament.
Es schien stabil bis zur Wiedervereinigung.
Daß dieser Schein trog, erwies die Entscheidung der Bundesregierung, den Vermögensraub
(getarnt als Boden- und Industriereform) eine Terrormaßnahme, bei der
Enteignung, Vertreibung, Verhaftung und Tötung der Opfer in vielen Fällen zusammenfielen
beizubehalten und damit ein Ausnahmerecht zu schaffen, das den Anspruch der
Betroffenen auf Gleichheit vor dem Gesetz leugnete. Die Schutzbehauptung der Regierung
Kohl, die Beibehaltung der Bodenreform sei von Moskau 1990 zur Bedingung für die
Zustimmung zur Wiedervereinigung gemacht worden, hat sich längst als frei erfunden und
als vorsätzliche Irreführung des Parlaments zur Erschleichung seiner Zustimmung zu
dieser Ungeheuerlichkeit erwiesen. All das ist seit langem ebenso bekannt wie die
Weigerung der großen Mehrheit der Deutschen, sich darüber zu empören.
Was diesem Sachverhalt nun doch noch peinliche Beachtung verschafft, ist der Fall
Bussche. Er war eigentlich nicht vorgesehen, denn für die Opfer der braunen Diktatur
waren von Anfang andere Regelungen vorgesehen. Wer unter Hitler als Jude oder als
Beteiligter an der Verschwörung vom 20. Juli 1944 um sein Hab und Gut gebracht
worden war, dessen rechtsstaatlich begründeter Anspruch auf Rückgabe wurde durch die
Wiedervereinigung nicht berührt. Die Rückgabe setzte für die Verschwörer gegen Hitler
freilich voraus, daß sie damals entdeckt und enteignet worden waren wie die
Hardenbergs beispielsweise. An diejenigen aber, die damals unerkannt geblieben waren,
dachte der Gesetzgeber nach 1990 nicht. Lag ihr Besitz nach 1945 in der Sowjetischen
Besatzungszone und wurde er im Rahmen der Bodenreform enteignet so wie
im Fall Bussche so ging er 1990 in der Regel in den Besitz der Bundesregierung
über. Die aber beschloß, ihn meistbietend zu verkaufen, statt ihn ihren rechtmäßigen
Eigentümern zurückzugeben.
Insofern ist der Verkauf von Bussches Eigentum nichts Besonderes, sondern nur ganz
normales Unrecht, so wie es nach 1990 in Deutschland wieder gang und gäbe
geworden ist. Zu ihm gehört auch die Indifferenz, wenn nicht Zustimmung der großen
Mehrheit alles Phänomene, die in der deutschen Zeitgeschichte nicht neu sind. Was
sie zur Besonderheit macht, ist das Ausmaß des Widerspruchs zwischen dem, was geschieht,
und dem, was Rechtsstaatlichkeit zwingend erfordert: die Rückgabe dessen, was Bussche
geraubt wurde. Wenn andere Staaten Persönlichkeiten, denen sie sich besonders
verpflichtet wissen, Dotationen zukommen lassen, dann kann es darüber, daß die Rückgabe
des Eigentums das mindeste ist, wozu der Rechtsstaat verpflichtet ist, keine
Meinungsunterschiede geben.
Das, was die Bundesregierung im Fall Bussche versucht, darf nach einem Urteil des
Berliner Kammergerichts vom Dezember als Hehlerei bezeichnet werden. Das
entspricht offenkundig der Bewertung derjenigen, denen die BVVG den Wald zum Kauf
angeboten hat. Zwei Interessenten einer aus den alten und einer aus den neuen
Bundesländern traten von ihrer Kaufabsicht zurück, als sie erfuhren, wer der
rechtmäßige Eigentümer des Waldes ist, und entsprechend verhielten sich als Gutachter
verpflichtete Forstleute: Sie lehnten es ab, zum Zustandekommen dieses Geschäfts durch
ein Wertgutachten beizutragen.
Der Beachtung wert ist aber auch die Person dessen, der Kanzler und Ministerpräsident
auf den Fall aufmerksam gemacht hat: Albrecht von Maltzan. Sein Schwiegervater, der
frühere preußische Oberlandforstmeister Achim Freiherr von Willisen, kam wie Bussche aus
dem Infanterieregiment 9. Wie er gehörte er zu den Verschwörern des 20. Juli, wie
Bussche entging Willisen der Entdeckung durch SD und Gestapo, und wie Bussches so wird
auch seiner in der Gedenkstätte des Deutschen Widerstandes im Bendlerblock namentlich
gedacht. Mit Bussche teilt er auch die Enteignung durch DDR und Bundesregierung, denn er
erhielt seinen Wald ebensowenig zurück wie sein einstiger Regimentskamerad.
Aber es ist nicht der Eigentumsaspekt, der Maltzan dazu veranlaßt hat, den
Bundeskanzler selbst auf den Fall Bussche hinzuweisen, dessen eigentlicher Kern die
Gefährdung des Rechtsstaats ist. Sollte der Kanzler was man kaum erwarten darf
den Brief selbst lesen, dann müßte ihm jene Passage ins Auge stechen, die auf das
Ereignis eingeht, das 1934 den Verlust des Rechtsstaats in Deutschland für alle sichtbar
machte auch, wenn sie es nicht sehen wollten; also auch damals die Mehrheit.
Nach den Morden des 30. Juni 1934, dem Röhmputsch, bemühte sich ein kleiner Kreis
deutscher Staatsbürger, auch mein Vater, um ein ordentliches Strafrechtsverfahren gegen
den Reichskanzler Hitler und den Reichsinnenminister Göring. Einige hohe Richter
verhinderten es unter Berufung auf die Interessen und die Sicherheit des Staates mit einer
Intervention beim Reichsgerichtspräsidenten Bumke, der dieser mit seinem unglückseligen
Zeichen ,in Ordnung Bumke die Zustimmung erteilte. Die Begründung der
Antragsteller, ,so hoch der Himmel über der Erde, so hoch steht das Recht über allen
Nützlichkeitsüberlegungen, wurde damals öffentlich vielfach verlacht,
schreibt Maltzan dem Kanzler.
Damals, vor nunmehr siebenundsechzig Jahren, sorgte sich der Vater um den Rechtsstaat.
Wie recht er hatte, wissen wir heute besser, als er es wissen konnte. Wie begründet die
Sorge des Sohnes heute ist, muß die Zukunft erweisen. Erschrecken aber macht
schon jetzt die Erkenntnis, wie gering die Bereitschaft ist, aus der Erfahrung zu lernen,
sobald die Konsequenzen als politisch unbequem empfunden werden.