Deutschsprachige Universität in Budapest
12. April 2002, 08:36, Neue Zürcher Zeitung
Auf der Suche nach Mitteleuropa
Eine neue deutschsprachige Universität in Budapest
Diesen Herbst nimmt in Budapest mit der privaten Andrássy-Universität eine
Lehranstalt ihren Betrieb auf, die sich dezidiert nationalen und christlichen Werten
verpflichtet sieht. Das Haus entpuppt sich als konservative Gegengründung zur ungleich
größeren, US-amerikanischen Budapester Central European University. Die deutsche wie die
österreichische Politik haben sich seit Beginn des 20. Jahrhunderts wiederholt in mehr
oder minder offen hegemonialer Absicht um die Einführung des Begriffs «Mitteleuropa» in
den geopolitischen und kulturellen Diskurs der Zeit bemüht. War der Terminus nach zwei
Weltkriegen auch gründlich desavouiert, so wurde er im Ostblock dennoch zum Argument im
Widerstand gegen die sowjetische Fremdherrschaft.
Und auch nach der erfolgten Auflösung einer bipolaren Weltordnung werden
Mitteleuropa-Ideen in den ehemaligen Satellitenstaaten weiterhin rege und jetzt zudem
öffentlich diskutiert: Die rituelle Beschwörung Mitteleuropas als historisches Faktum
ist vom Begehren getragen, über den Appell an das Traditionsbewußtsein diverser
westlicher Länder baldige und freundliche Aufnahme im vereinten Europa zu finden. Vor
allem aber will man nicht mehr der durch den real existierenden Sozialismus nachhaltig
diskreditierte Osten sein. Es erstaunt daher wenig, daß Ungarn als ein Land, in dem das
Deutsche im 19. Jahrhundert die dominierende Sprache des Bürgertums war, sich in
besonderem Maße für Erinnerungsarbeit an gemeinsamen Vergangenheiten und die Knüpfung
kultureller Bande mit den deutschsprachigen Regionen Europas interessiert.
Keine konkreten Grenzziehungen
Als «Mitteleuropa-Studien» ist folglich eine der drei Fachrichtungen deklariert, die ab
Herbst dieses Jahres an der vor kurzem gegründeten deutschsprachigen
Andrássy-Universität in Budapest studiert werden können. Somit tritt an der nach einem
bedeutenden Außenpolitiker der österreichisch-ungarischen Monarchie benannten
postgradualen Lehranstalt neben zwei für Elitehochschulen übliche Studiengebiete
(Vergleichende Rechts- und Staatswissenschaft, Internationale Beziehungen) die
Möglichkeit zum Abschluß in einem Fach, das sich allein dem Thema Mitteleuropa widmet.
Allerdings erweist sich die inhaltliche Bestimmung als heikel. Dem angekündigten
Curriculum ist zu entnehmen, daß das Gebilde namens Mitteleuropa den «Donauraum»
umfasse. Gerade die Deutschsprachigkeit der Bildungseinrichtung aber relativiert diese
Zuweisung, fließt Europas großer Strom doch nicht allein durch Deutschland, Österreich
und das einstmals bedingt deutschsprachige Ungarn, sondern eben auch durch Länder wie
Serbien und Bulgarien, die sich traditionell weniger dem deutschen als vielmehr dem
slawischen Kulturraum zugehörig fühlen. So weicht denn auch der Gründungsrektor der
neuen Universität vor konkreten Grenzziehungen zurück. György Hazai ist Turkologe und
somit selbst hinreichend mit der Problematik von Europa-Definitionen vertraut. Hazai, der
sich für das Amt durch langjährige internationale Hochschulerfahrung sowie als
Mitbegründer der griechisch-zypriotischen Universität von Nikosia empfohlen hatte, äußert
sich im Gespräch dahingehend, daß es ihm nicht um eine politische Mitteleuropa-Idee
gehe, vielmehr gälte es, gerade diese «zu neutralisieren».
Ein genauerer Blick auf das Lehrprogramm zeigt hingegen recht deutlich, daß man sich
an der Andrássy-Universität durchaus Werten verpflichtet fühlt, die ein normatives
Mitteleuropa-Konzept begründen. Christliche Religiosität als kulturelles Fundament,
Kritik an lebensweltlicher Monotonisierung, Bekenntnis zu einer Staatengemeinschaft
selbstbewußter Nationen und schließlich die Besinnung auf das Humboldtsche Bildungsideal
profilieren die deutschsprachige Universität gegenüber der US-amerikanischen Central
European University (CEU), die ebenfalls ihren Sitz in Budapest hat. Die von dem
ungarisch-amerikanischen Milliardär György Soros finanzierte Hochschule führt zwar auch
Europas Mitte im Namen, hat aber nicht den Anspruch, dieses Etikett etwa durch ein eigenes
Studienfach normativ zu besetzen. Praxisnähe und Pragmatismus des amerikanischen
Bildungssystems bestimmen auch an der CEU die Universitätsphilosophie, in deren Zentrum
die Festigung der Demokratie in den ostmitteleuropäischen Transformationsgesellschaften
steht. Während man an der CEU den demokratischen Grundkonsens und ein modernes, laufend
kritischer Reflexion unterzogenes Wissenschaftsverständnis für ausreichende Mittel zur
Bewältigung der gestellten Aufgaben hält, betont Hazai die universitäre
Traditionspflege in Form der Bewahrung eigener, spezifischer geschichtlich vermittelter
Werte als konstituierend für die Zukunft der Region.
Insgesamt erhält die Andrássy-Universität somit den Charakter einer konservativen
Gegengründung zur ungleich größeren CEU, auch wenn Hazai lieber die Chancen durch
künftige Zusammenarbeit betont.
Konservativer Zuspruch
Dem propagierten Wertekanon, den konservativ zu nennen Hazai nur unter der Bedingung
zustimmt, daß dieses Attribut nicht als rückständig verstanden wird, kommt insofern
politische Relevanz zu, als die maßgebliche Initiative zur Universitätsgründung von der
rechtsbürgerlichen ungarischen Regierung ausging, die sich nicht allein mit der
umfassenden Restitution von nationalem Selbstwertgefühl und christlicher Identität sehr
ähnlichen Zielen verschrieben hat, sondern auch eigene Mitglieder in das
Gründungskuratorium entsandte. Dies wiederum bewog die vorwiegend von Sozialisten und
Freien Demokraten gestellte Opposition, das mit den Stimmen der Regierungsparteien
verabschiedete Gesetz zur staatlichen Anerkennung der neuen Privatuniversität abzulehnen.
Die Affäre um eine von der CEU-nahen Soros-Stiftung lancierte Plakataktion läßt den in
Oppositionskreisen geäußerten Vorwurf, daß sich die herrschenden Parteien mit
Staatsgeldern eine ihnen kommode Eliteschmiede schaffen wollten, jedenfalls nicht
gänzlich abwegig erscheinen. Sprach die Regierung doch von illegitimer Einmischung, als
sich die Soros-Stiftung anläßlich der Parlamentswahlen mit Plakaten an die
Öffentlichkeit wandte, auf denen jeweils einer als sozial benachteiligt einzustufenden
Personengruppe der Spruch «Wir gehen wählen und du?» in den Mund gelegt worden
war.
Zweifel an der Unabhängigkeit der von ihm mitbegründeten Institution weist Hazai
entschieden zurück. Alle im Parlament vertretenen Parteien seien zur Mitarbeit eingeladen
worden. Wer sich verweigere, habe sich selbst zuzuschreiben, wenn er bei Entscheiden außenvor
bleibt. Auch wenn die ungarische Opposition in letzter Zeit in der Tat mehr durch
Beleidigtsein als durch politische Aktivität von sich reden machte, so ist wohl schwer
als Zufall zu deuten, daß Förderungszusagen bislang ausschließlich aus Ländern mit
einer Regierung der rechten Mitte in Budapest eingegangen sind: Die deutschen
Bundesländer Baden-Württemberg und Bayern werden sich jeweils mit der Entsendung von
zwei Professoren sowie der Zahlung von bis zu zehn Studienstipendien an der Finanzierung
beteiligen, auch Wien hat sich zu finanziellen Hilfen verpflichtet, mit Thüringen und
Sachsen laufen, so Hazai, Verhandlungen. Die deutsche Bundesregierung wie auch die Schweiz
halten sich bisher bedeckt, wobei Hazai jedoch zu verstehen gibt, daß hier wie dort
Kontakte bestünden, auch sei eine Partnerschaft mit der Universität St. Gallen im
Gespräch.
Womöglich wollen Bern und Berlin erst einmal abwarten, wie die ungarischen Wahlen
entschieden werden, deren zweite Runde am 21. April abgehalten wird. Hat sich doch schon
bis ins Ausland herumgesprochen, daß die ungarische Kulturpolitik nach einem allfälligen
Machtwechsel dazu neigt, das Rad neu erfinden zu wollen.
So werden nicht nur ausgearbeitete Pläne der Vorgängerregierung gern für null und
nichtig befunden, im Fall der jahrzehntelang diskutierten Errichtung eines
Nationaltheaters wurde das bereits fertige Fundament zur Bauruine erklärt, um alles noch
einmal von vorne beginnen zu können. György Hazai sieht der Zukunft seiner Universität
recht gelassen entgegen, ist ihm doch auch schon vor rund zehn Jahren die Verwirklichung
eines fürwahr delikaten Projekts gelungen, als es darum ging, Turkologie als Studienfach
an der griechisch-zypriotischen Universität zu etablieren. Gerade sind die von
ungarischer Seite zu besetzenden Professuren ausgeschrieben worden.
Das repräsentative Festetics-Palais in schönster Innenstadtlage, welches die Regierung
zurzeit für viel Geld restaurieren läßt, soll bis zum Sommer bezugsfertig sein, so daß
zum kommenden Wintersemester die ersten fünfundsiebzig Studenten nach Budapest kommen
könnten. Zugelassen werden allein Postgraduierte, die genügende Kenntnisse der deutschen
Sprache besitzen. Dies festzustellen, wird gewiß einfacher sein als die Antwort auf die
Frage, wo genau denn nun eigentlich Mitteleuropa liegt.
Viktor Otto
Informationen unter: www.bne.hu
Übermittelt von Walter Pannbacker. DANKE!