Brünner Chronik vom 1.12.1947

abgeschrieben von einem vergilbten Durchschlagpapier, das beidseitig mit blassem Farbband beschrieben war.
Am oberen Rand der Vorderseite ein Bleistiftvermerk (Handschrift Ernest Potuczek-Lindenthal): "über Mutti zurück"
Herkunft ist ungeklärt.
Offensichtliche Tippfehler wurden beim Abschreiben bereinigt. Hervorhebungen durch den Abschreiber ML 2000-09-05.

Brünner Chronik                                                                                  1.12.1947

Stadtnachrichten.
Das Altgebäude der ehemaligen Deutschen Technischen Hochschule wurde Rektorat der tschechischem Technik.
Das Neugebäude wurde Architekturgebäude der tschechischen Technik.

Die evangelische Kirche               ceskobratrská cirkev
Das
deutsche Gymnasium             první ceské gymnasium
Cs.brig.kmdo wurde erweitert um die
Rudolfschule
Der Hof der Jahnturnhalle – Justifizierungsstätte des Brünner Volksgerichtes; der ganze angrenzende Teil des Spielberges wurde ausgeholzt und gilt als Amphitheater-Zuschauerraum
Das Deutsche Haus am Námesti Rudé Armady wurde abgerissen; an dessen Stelle ein Denkmal mit Inschrift an die Sowjets mit Blumenrabatten in Form eines Sowjetsternes.
Der
Haupteingang des Zentralfriedhofes wurde zum zweiten Tor verlegt; dort ein Sandsteinobelisk mit knieenden Rotarmisten, umgeben von Grabstellen gefallener Russen, geziert mit Hammer und Sichel. Die deutschen Grabsteine wurden exhumiert, andere Gräber verfallen ganz.
Die deutschen Gärtnereien sind in die städtischen Gärtnereien aufgegangen, Verwaltung im ehemaligen Molischgebäude.

Die Straßen der Stadt sind vom Schutt gereinigt, ein Teil der Häuser wiederhergestellt. Viele schwerbeschädigte Häuser sind abgetragen, wie z.B. das Urbanhaus, Fleischhackerhaus am großen Platz und andere.

Der Turm des Domes ist noch immer verschalt.
Dominikanerkirche innen und außen hergerichtet, Vorderfront verschalt.
St. Jakobskirche erhält gewöhnliche Fenster, es fehlt daher jegliche Mystik.
Jesuitenkirche ist stark beschädigt und noch in Arbeit.
Künstlerhaus ist Möbelausstellung der U.P.Werke und Spielwarenausstellung des cechoslovakischen Vereines bildender Künstler.
Das
Zentralbad ist mit allen Schikanen hergerichtet bzw. restauriert.
Kino Zentral und Excelsior sind Möbelverkaufsräume.
Die Wechselseitige Versicherungsanstalt ist wieder hergestellt und altrosa verputzt.
Bahnhofsgebäude mit einem Turm renoviert, der zweite Turm wird nicht mehr wiederhergestellt, da der ganze Bahnhof nach Gerspitz verlegt wird.
Die Töchterschule am Glacis ist abgetragen, ebenso das Schwedendenkmal und die Figur vom Falkensteiner Haus gegenüber der Roten-Krebs-Apotheke.

In der Talgasse gibt es nach den Aufräumungsarbeiten eine ganze Reihe von Bauplätzen. Gut hergerichtet ist der Getreidemarkt, jetzt Stalingradske námesti, eine Riesenfläche von Rabatten, Wege mit Sandkies bestreut.
Die tschechische Presse schreibt:    1283 Häuser vernichtet.
                                                      3933 Häuser schwer beschädigt.
                                                      8504 Häuser leicht beschädigt.
                                                      mit einem Schaden von ca 10 Milliarden Kronen.

Die tschechische Gräfin Praschak war als Kollaborantin in Brünn eingesperrt und entfloh. Als Exponent der tschechischen klerikalen Partei warnt sie alle Deutschen vor Rückkehr in die Heimat. Sie erzählt von einer unmenschlichen Hinrichtung eines 21jährigen Mädchens und behauptet, auch bei der Justifizierung von Judex anwesend gewesen zu sein. Nach einer anderen Meldung ist der ehemalige Brünner Bürgermeister Judex, welcher lebenslänglich bekommen haben soll, jetzt in Mürau, früher war er bei Bata-Zlin eingesetzt.

In Brünner Lagern – außer auf der Zeile  – z. Zt. keine Deutschen interniert.
In Südmähren stehen die Häuser der Deutschen vollkommen leer, Möbel und Hausrat sind von den Russen fast gänzlich weggeführt, die Felder sind unbebaut und verödet.

Im Lager Pohrlitz starben im Juni 1945 täglich mindestens 50 Personen, die Verhältnisse sind laut Schilderung von Augenzeugen furchtbar. Hier fehlt mindestens eine Zeile am unteren Blattrand. Es gab kein Wasser, und selbst die Leichen konnten nicht beerdigt werden.
Südmähren wird jetzt teilweise von Tschechen besiedelt, und wird, soweit vorhanden, von Kulis bebaut.

Von den Tschechen verlautbarte Indexzahlen, Basis 1937 = 100%: angestiegen 1945 auf 176 %, selbst die Ziffern sind noch im tschechisch günstigen Sinne zu werten. Alle Löhne und Bedarfsartikelpreise wurden in der CSR gesenkt.
Fünf Tage der Woche wird für den Erwerb, am 6. Tag für den Staat gearbeitet. Der
durchschnittliche Verdienst der tschechoslowakischen Arbeiter beträgt Kc 350,- wöchentlich.

Alle Feiertage einschl. Ostern wurden aufgehoben. Industrie und Handel stocken, da Kredite fehlen. Arbeiter stillstehender Fabriken werden zu Arbeitsbataillonen zusammengefaßt und müssen gegen geringen Lohn Zwangsarbeit verrichten. Die Familien erhalten ein geringes Trennungsgeld. Arbeitslöhne fallen aus.

Lebensmittelpreise haben steigende Tendenz, Verpflegung in den Städten sehr schlecht, z.B. 150 g Butter im Monat, wogegen die Bauern in der Hanna in Butter schwimmen.

Die tschechischen Bauern, die im Sudetenland angesiedelt wurden, verlassen aus Mangel an Hilfskräften das Land, das kaum mit 10 % der früheren Einwohnerschaft besiedelt ist.

Mit Ausnahme weniger Kommunisten will das Volk von Rußland nichts wissen, hingegen hält die UdSSR das flache Land besetzt; auf allen Flugplätzen sind russische Stützpunkte.

Die Slowakei verlangt ihre Selbständigkeit. Wenn die nächsten Wahlen nicht gefälscht werden, müßten eigentlich schon diese den Umschwung bringen.

In der CSR müssen alle gedienten Offiziere nach Rußland zur militärischen Abrichtung, außerdem werden die Tschechoslowaken zum Militärdienst von den Russen ausgehoben, und sollen nach Rußland abtransportiert werden. Sie werden auch zur Zwangsarbeit in den Kohlegruben eingesetzt.

Sender Luxemburg teilt mit: In der CSR soll in einzelnen Bezirken Standrecht verhängt worden sein.

Heslo:         'Zádáme Prvni republiku! (Wir fordern die erste Republik)
Prag:           Benesch hat nichts mehr zu sagen, Gottwald spielt für die UdSSR die Rolle Henleins.
Karlsbad:   Außer russischen Offizieren und wenigen Tschechen aus Prag keine Kurgäste, die Stadt ist vollkommen tot.

Innenministerium Prag verlautbart am 6. März 1947 ein Gesetz, wonach die Aussiedlung einzelner Deutscher aus der CSR in Einzelfällen auf dem Gnadenweg ermöglicht wird. Rückkehr der Deutschen ist möglich, wenn eine sechsmonatige Mitgliedschaft in der KPD nachgewiesen wird.
In den letzten Wochen wurde festgestellt, daß die Tschechen längs der Grenze zu Bayern die auf tschechischem Boden liegenden Bauernhöfe niederbrennen, außerdem werden die geräumten Orte im Sudetenland als Beschußobjekte für Artillerie-Scharfschießen verwendet und dadurch zerstört.

Nach Deutschland dürfen keine Zeitungen, Pakete, sondern nur offene Briefe versandt werden, welche der Zensur durch die Gendarmerie unterliegen.

Alles in der CSR ist furchtbar teuer. 50 kg Koks kosten, wenn überhaupt erhältlich, 101,- Kc. Bessere Schuhe 550,- bis 990,- Kc, trotz des Preisabbaues vor kurzem. Ein Anzug: früher 1300,-, jetzt 12750,- Kc.
Lebensmittel nicht knapper als vor 1/2 Jahr, Semmeln und Fleisch rar.

Ein Landsmann schreibt:
"Danken Sie Gott, daß Sie aller Sorgen dort enthoben sind. Ich wollte, ich wäre an Ihrer Stelle. In Brünn wird fleißig gebaut bzw. aufgeräumt. Und Platz gibt es in Menge. Die Kriegsspuren sind aber nicht auszurotten. Die Stadt hat ein garstiges, fremdes Bild und fremd sind auch die Menschen. Weiß Gott, wo nur diese alle herkommen. Ist das die Vorstadt? Ich weiß es nicht, ich kenne niemand. Kino und Theater sind uns verwehrt, Koks ist nie für Geld und gute Worte aufzutreiben. Hier kursieren z. Zt. 100 verschiedene Briefmarken."

Eine Fortsetzung ist nicht auffindbar.