Kurz vor dem 50jährigen Jubiläum der BRUNA übergaben Studenten der Brünner Masaryk-Universität im Namen der MIP (Jugend für Interkulturelle Verständigung) im Brünner Rathaus einen Aufruf, in dem Sie die politische Vertretung der Stadt auffordern, sich endlich für die unmenschliche Austreibung der Brünner Deutschen zu entschuldigen.

Aufruf an das Brünner Rathaus anläßlich des 55. Jahrestages des sogenannten Todesmarsches

Sehr geehrter Herr Primator, sehr geehrte Mitglieder des Brünner Stadtrats,
Am 30. Mai 2000 sind es 55 Jahre her, daß die deutschen Bewohner der Stadt Brno-Brünn gewaltsam ausgetrieben wurden. Der sogenannte Todesmarsch war keineswegs ein spontaner Ausbruch des während der Okkupation angesammelten Hasses, sondern eine gezielt geplante, auch von den politischen Repräsentanten der Stadt Brünn organisierte Aktion.

Die Aktion wurde auf Grund der Bekanntmachung des Nationalausschusses für Groß-Brünn vom 30. Mai 1945 durchgeführt, mit welcher angeordnet wurde, daß sich noch am gleichen Tag alle deutschen Frauen, Kinder und alte Leute an bestimmten Plätzen einzufinden hätten. Im Laufe der Nacht und in den frühen Morgenstunden wurden sie gezwungen, den Marsch in Richtung österreichische Grenze anzutreten. Die 20- bis 35-tausend Menschen zählende, von bewaffneten Wachen begleitete Prozession pilgerte unter schrecklichen Umständen nach Pohorelice (Pohrlitz), von wo die Ausgetriebenen später ihren Marsch fortsetzten. Nach Augenzeugenberichten starben viele während des Marsches, andere wurden erschlagen oder erschossen. Die Gesamtzahl der Opfer der Vertreibung aus Brünn wird auf einige hundert bis tausend Personen geschätzt.

Man muß sich bewußt machen, daß diese Gewaltaktion speziell gegen Frauen, Kinder und alte Menschen gerichtet war. Diese bildeten absolut die Mehrheit der Teilnehmer und Opfer des „Todesmarsches“. Auf Grund der erwähnten Bekanntmachung mußten nämlich die deutschen Männer im Alter von 14 bis 60 Jahren als Hilfsarbeiter vorübergehend zurückbleiben. Unter den Ausgetriebenen befanden sich auch viele Tschechen und deutsche Antifaschisten. Der "Racheakt" traf nur vereinzelt diejenigen, die sich aktiv an den Naziverbrechen beteiligt hatten.

Zur Austreibung der Deutschen aus Brünn kam es, noch bevor die Potsdamer Konferenz am 2. August 1945 der „Abschiebung“ der deutschen Bevölkerung zustimmte. So wurde die Konferenz vor vollendete Tatsachen gestellt, die nicht mehr rückgängig gemacht werden konnten.

Wir sind uns der unvergleichlich zahlreicheren Verbrechen des Naziregimes bewußt, aber wir stellen gleichzeitig fest, daß Leid, ganz gleich, von wem und wann verursacht, immer Leid bleibt. Außerdem wurde bei der Austreibung der Deutschen aus Brünn das unannehmbare Prinzip der Kollektivschuld angewandt und das Verbrechen an einer Gruppe von Einwohnern, die allein durch ihre ethnische Zugehörigkeit bestimmt war, begangen. Im Hinblick darauf, daß das Geltendmachen dieser Prinzipien noch heute zu Grausamkeiten in vielen Teilen der Welt führt, wissen wir, welchen Wert ihre ausdrückliche Ablehnung hat.

Wir wenden uns deshalb an Sie, daß Sie sich als die Repräsentanten der Stadt Brünn klar von den Vorfällen distanzieren, für welche die damalige politische Vertretung der Stadt Brünn die Verantwortung trug.

Wir sind der Meinung, daß eine offiziell veröffentlichte Entschuldigung bei den aus Brünn vertriebenen Einwohnern die adäquate Form einer solchen Erklärung ist. – Warum eine Entschuldigung und was hat eine solche heute für einen Sinn? – Es geht hier nicht um einen symbolischen Akt. Die Entschuldigung des Brünner Rathauses wird unserer Meinung nach ein Mittel sein, das zwei aktuelle Botschaften mit sich bringt:

Die erste ist eine Botschaft der Versöhnung an die, die von der gewaltsamen Vertreibung betroffen wurden.

Die zweite wendet sich an uns heutige Brünner, deren absolute Mehrheit mit der Vertreibung, zu der es hier vor 55 Jahren gekommen ist, nichts gemein hat. Ihr geht es nicht um eine Selbstbeschuldigung, sondern um die Verantwortung für das heutige und künftige Zusammenleben von Menschen verschiedener kultureller und ethnischer Herkunft. Sie macht Hoffnung, daß sich nichts Ähnliches wiederholen wird, wenn wir das Wissen über die Unannehmbarkeit der angeführten Verbrechen bewahren und zu diesen eine offene und ehrliche Stellung einnehmen, statt sie zu tabuisieren.

Den Jahrestag des Todesmarsches begehen wir am Dienstag, dem 30. Mai 2000 um 17.30 Uhr im Klostergarten auf dem Mendelplatz mit einem Gedenkakt, zu dem wir sie einladen.

– Mládez pro interkulturní porozumení (MIP) –
– Jugend für interkulturelle Verständigung –
– Youth for intercultural understandig –
                       Ondrej Liška
                                                             Büro: Botanická 44, CZ 60200 Brno

 

Aus der Stellungnahme des Bundesvorstandes der BRUNA
Die BRUNA, der Heimatverband der Brünner in Deutschland, hat die Resolution, die der Verband "Jugend für interkulturelle Verständigung" an den Brünner Primator und Stadtrat richtete, dankbar zur Kenntnis genommen.

„Wir begrüßen insbesondere die klare Sprache, welche
– die Vertreibung und Todesmarsch als das bezeichnet, was sie waren – ein bis heute ungesühntes Verbrechen gegen die Menschlichkeit,
– und die Kollektivschuld als prinzipiell unannehmbar bezeichnet.

Mit einigem Bedauern allerdings mußten wir lesen, daß die Männer zwischen 14 und 60 Jahren ‚vorübergehend als Hilfsarbeiter‘ zurückbleiben mußten. In Wirklichkeit kamen sie in Konzentrationslager und wurden von dort aus zur Zwangsarbeit eingeteilt. Das gleiche Schicksal widerfuhr auch zahlreichen Frauen (.....) Trotzdem begrüßen wir diese Resolution, die – sollte sie verabschiedet werden –‚ bei den noch lebenden Brünner Deutschen mit Sicherheit als das aufgenommen werden wird, was sie beabsichtigt: ein erster offizieller Schritt zur Versöhnung, der die vielen privaten Schritte, die von der BRUNA und ihren Mitgliedern in der Vergangenheit schon gegangen wurden, sinnvoll ergänzen würde.“

 

Brünner Tschechen gedenken der Vertreibung der Deutschen
Wie dpa berichtet, gedachten am Dienstag, (30. Mai 2000) 100 Menschen in der mährischen Stadt Brünn des 55. Jahrestages der Vertreibung der deutschen Bewohner:

An dem Gedenkakt, zu dem eine Studentenorganisation aufgerufen hatte, nahmen zahlreiche Politiker, Botschaftsvertreter und ehemalige Widerstandskämpfer teil. Ende Mai 1945 waren mehr als 20.000 Deutsche von Revolutionären Garden auf einen Todesmarsch nach Osterreich vertrieben worden. Dabei waren zahlreiche Menschen ums Leben gekommen.

„Wir werden die Probleme nicht unter den Teppich kehren“, sagte der stellvertretende Bürgermeister von Brünn, Pavel Kuba, während der Veranstaltung.
                                                                                (DOD)

 

Untersuchung in Brünn
Das Archiv der mährischen Stadt Brünn (Brno) hat am 28. Juli 2000 mit der Untersuchung des „Brünner Todesmarsches“ begonnen.

Offener Brief an den Brünner Primat Petr Duchon
(Auszug)
Geehrter Herr Primator, die Vereinigung „Jugend für Interkulturelle Verständigung (MIP)“ rief vor drei Wochen das Brünner Rathaus auf, sich anläßlich der 55. Wiederkehr des sogenannten Todesmarsches klar zu äußern. Die geeignetste Form, sich zu diesem brutalen Verjagen vorwiegend deutscher Frauen, Kinder und alter Menschen zu äußern, wäre unserer Ansicht nach eine Entschuldigung gewesen.

Der Stadtrat trat unserem Aufruf nicht bei und berief eine Kommission, die dieses Ereignis unter historischen Gesichtspunkten fachmännisch untersuchen soll. An unsere Adresse gerichtet haben Sie anschließend erklärt, daß es nicht richtig sei, sich „in die Rolle des Schiedsrichters zu versetzen“, und daß unser Aufruf nicht einer „objektiv ermittelten Wirklichkeit“ entspräche. Das Rathaus steuert damit auf das zu, was wir am meisten befürchtet haben: insgesamt Wesen und Sinn unseres Aufrufs dadurch zu verschleiern, daß das Thema auf einen Streit um die Zahl der Opfer verengt wird.

(...) Auch wenn bei der Abschiebung niemand ums Leben gekommen wäre und selbst wenn die Abgeschobenen ordnungsgemäß und unter menschlichen Bedingungen an die Grenze gebracht worden wären, bliebe es doch immer noch eine „ethnische Säuberung“, die nach dem nazistischen Holocaust die Vernichtung des multikulturellen Gepräges unserer Stadt vollendete. (...) Vielfalt ist ein Wert, der geschützt und geschätzt werden muß, damit sich niemals das wiederholt, was in den vierziger Jahren geschah.
                        Für die Vereinigung MIP
                        Martin Konecný, Mikuláš Kratochvil, Ondrej Liška


Gedenken am Mahnmal der BRUNA im Klostergarten von Altbrünn
Die Zeitschrift „Brünn-Mitte“ veröffentlichte im Juli 2000 einen Bericht von Ondrej Zahradnicek, dem wir die folgenden Zeilen entnehmen:

„(...)Besonders im Falle menschlichen Leidens muß in zivilisierten Staaten gelten, daß jedes Verbrechen gegen die Menschlichkeit ein Verbrechen ist, ob gegen eigene Volksangehörige oder solche eines anderen Volkes begangen.
Eine große historische Schuld in der Brünner Geschichte ist die fehlende, gründliche Erforschung der wilden Vertreibung der Deutschen im Frühling 1945 aus Brünn nach Pohrlitz, häufig Todesmarsch genannt, worauf in einem kürzlichen Aufruf die »Vereinigung für interkulturelle Verständigung« aufmerksam machte.
Diese organisierte auch am 30. Mai eine Gedächtnisstunde beim Denkmal der Brünner Deutschen auf dem Gelände des Augustinerklosters am Mendelplatz“.

An dem Pietätsakt nahmen Zeitzeugen, besonders aus der Reihe der Vereinigung Brünner Deutscher BRUNA teil, aber auch Persönlichkeiten des Brünner Kultur- und des politischen Lebens, wie z.B. der Herausgeber und Politiker Jan Sabata oder der frühere Vorsitzende des tschechischen Parlamentes Milan Uhde. Auch wenn offiziell die Stadt Brünn keinen Vertreter entsandte, so nahm doch der Primator-Stellvertreter der Stadt Pavel Kuba teil, der über Aktivitäten des Stadtrates informierte. Diese zielen dahin, eine Arbeitsgruppe zu bilden, die die damaligen Begebenheiten untersuchen soll. Einige Vertreter der Brünner Deutschen betonten, daß sie sich der Greuel der Konzentrationslager und überhaupt des Leides aller Opfer des Zweiten Weltkrieges und der nazistischen Besetzung der Tschechoslowakei bewußt seien. Unrecht könne aber nicht durch neues Unrecht wettgemacht werden, begangen häufig an Frauen, Kindern und alten Menschen. Schließlich wurden in dem Todesmarsch auch Deutsche gehetzt, die wegen ihrer politischen Aktivität oder wegen familiären Bindung zu Juden erst kürzlich aus den nazistischen Gefängnissen und Lagern zurückgekehrt waren. Die Erklärung der Sprecherin des Verbandes der BRUNA, Frau Dora Müller – in fehlerfreiem Tschechisch – rief nicht nach dem Blut derer, die die Verbrechen zugelassen hatten, sondern nur nach einer ordnungsgemäßen Untersuchung aller Vorkommnisse, die sich in den ersten Wochen nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in Brünn abspielten. Für die heutigen Brünner war die Pietätsveranstaltung ohne Zweifel eine Gelegenheit, die Geschichte ihrer Heimatstadt zu überdenken.

entnommen aus dem Brünner Heimatboten, Jahrgang 2000 Seiten 124 ff, 156f
mit freundliche Genehmigung des Herausgebers

Zur Ausstellung junger Tschechen über den Brünner Todesmarsch