Wien, 2. Dezember 2002/GE
Entschließung der Bundesversammlung der
Sudetendeutschen Landsmannschaft vom 1. Dezember 2002
Das in Brannenburg/Bayern tagende Exilparlament verabschiedete mit den Stimmen der vier Abgeordneten aus Österreich einstimmig dieses Papier zur aktuellen Lage der Volksgruppe:
In Anbetracht der jüngsten Entscheidungen
der Europäischen Kommission und des Europäischen Parlaments, wonach die gegen die
deutsche und die ungarische Bevölkerung der Tschechoslowakischen Republik gerichteten Dekrete des damaligen Präsidenten Edvard Bene der Jahre
1945/46 aus Sicht des Rechts der Europäischen Union kein Hindernis für den Beitritt
der Tschechischen Republik darstellen,
in Würdigung der diesbezüglichen Gutachten namhafter Völkerrechtslehrer, insbesondere
der Professoren Felix Ermacora (Wien) und Dieter Blumenwitz (Würzburg)
sowie in Bestätigung der grundlegenden Resolution des Sudetendeutschen Rates und des
Bundesvorstandes der Sudetendeutschen Landsmannschaft vom 22. April 2002 bzw. 28.
September 2002
stellt die Bundesversammlung der Sudetendeutschen Landsmannschaft als Vertretung der
sudetendeutschen Volksgruppe außerhalb ihrer Heimat fest:
1.
Die Sudetendeutsche Landsmannschaft unterstützt aus historischen, sicherheitspolitischen
und ökonomischen Gründen alle Schritte zur Wiedereingliederung der
ostmitteleuropäischen Staaten und ihrer Völker und Volksgruppen in die
gesamteuropäische Gemeinschaft als Friedens- und Rechtsgemeinschaft.
Sie setzt dabei voraus, daß alle neu eintretenden Staaten wie die bisherigen
Mitgliedsstaaten die grundlegenden Prinzipien des europäischen Gemeinschaftsrechts sowie
des allgemeinen Völkerrechts insbesondere des Rechts auf die Heimat und des
Selbstbestimmungsrechts als zentrale Bestandteile der universellen Menschenrechte
einhalten.
2.
Die Sudetendeutsche Landsmannschaft fordert die Europäische Union auf, ihre Feststellung,
wonach ethnisch bestimmte Maßnahmen, die zu kollektiver Vertreibung und zur
Zerstörung kultureller Werte führen, eklatant gegen europäische Grundrechte und die
gemeinsame Rechtskultur der Europäer verstoßen, öffentlich deutlich zu vertreten,
um Völkermorden, Vertreibungen und der Vernichtung kultureller Werte von ethnischer
Minderheiten massiv Einhalt zu gebieten, sowie sich gegen alle Kräfte zu wenden, die
Vertreibungen der Vergangenheit und ihre fortdauernden Unrechtsfolgen zu relativieren oder
zu rechtfertigen versuchen.
3.
Im Hinblick auf die Beitrittsbemühungen der Tschechischen Republik zur Europäischen
Union fordert die Sudetendeutsche Landsmannschaft deshalb weiterhin die Wiederherstellung
der Rechte aller Sudetendeutschen, die durch die Entrechtung, Konfiskation, Vertreibung
oder andere Unrechtsfolgen der Jahre 1945 ff. durch die damalige Tschechoslowakische
Republik verletzt worden sind.
Weil die Tschechische Republik am 1. Januar 1993 kraft Staatensukzession an die Stelle der
Tschechoslowakei getreten ist, haftet sie völkerrechtlich für die Planung, Durchführung
und den konsequenten Abschluß der Vertreibung, die den Tatbestand des unverjährbaren
Verbrechens des Völkermordes erfüllt.
4.
Die Sudetendeutsche Landsmannschaft begrüßt die Feststellung des Europäischen
Parlaments, wonach das Straftatenrechtfertigungsgesetz der
Tschechoslowakischen Republik Nr. 115 vom 8. Mai 1946 vom Standpunkt moderner
Rechtsstaatlichkeit keine Existenzberechtigung hat, und fordert die Tschechische
Republik zur umgehenden Abschaffung dieser menschenverachtenden Regelung auf.
Sie begrüßt die Forderung des Europäischen Parlaments an die Tschechische Republik,
daß (die entsprechenden) In-absentia-Urteile außer Kraft gesetzt werden.
5.
Die Sudetendeutsche Landsmannschaft unterstreicht die Feststellung des Europäischen
Parlaments an die Tschechische Republik, daß nach dem Beitritt des Landes alle
Bürger der Europäischen Union auf dem Gebiet der Tschechischen Republik die gleichen
Rechte haben müssen.
Dies bedeutet insbesondere, daß sowohl den noch in ihrer Heimat in Böhmen, Mähren und
Sudetenschlesien lebenden als auch den heimatvertriebenen Sudetendeutschen von dem
tschechischen Staat und der tschechischen Gerichtsbarkeit die gleichen Rechte
insbesondere auf dem Gebiet des in den Jahren 1945 ff. konfiszierten Eigentums
eingeräumt werden müssen wie den Staatsbürgern tschechischer Nationalität.
6.
Die Sudetendeutsche Landsmannschaft begrüßt die Anregung des Europäischen Parlaments zu
einer gemeinsamen Europäischen Erklärung, die die gegenseitige Anerkennung der im
und nach dem zweiten Weltkrieg begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Greueltaten
und Ungerechtigkeiten sowie das Bedauern darüber beinhaltet und die Verpflichtung, die
gemeinsamen Werte und Ziele der europäischen Integration als wirksames Mittel zur
Überwindung vergangener Spaltungen, Feindseligkeiten und Vorurteile, verwurzelt in
national bestimmten historischen und politischen Interpretationen der Vergangenheit, voll
mitzutragen.
In Anbetracht der Erfahrungen der Bundesrepublik Deutschland mit der den ursprünglich geäußerten Absichten der Partner konträren Interpretation der Deutsch-Tschechischen Regierungserklärung vom 21. Januar 1997 durch die tschechische Regierung und die tschechische Nationalversammlung, insbesondere durch die für die sudetendeutsche Volksgruppe zutiefst verletzenden Aussagen des damaligen Ministerpräsidenten Zeman und des heutigen Ministerpräsidenten Spidla, sieht die Sudetendeutsche Landsmannschaft in dieser Deutsch-Tschechischen Erklärung im Gegensatz zum Europäischen Parlament allerdings kein Vorbild für die beabsichtigte gemeinsame Europäische Erklärung.
7.
Die Sudetendeutsche Landsmannschaft begrüßt die offene Gesprächskultur von immer mehr
tschechischen Bürgern über das tschechisch-sudetendeutsche Verhältnis sowie die
Bereitschaft tschechischer Politiker in den Kommunen und zunehmend auf gesamtstaatlicher
Ebene zum Dialog mit den Repräsentanten der vertriebenen sudetendeutschen Volksgruppe.
Sie fordert die Verantwortlichen in der Regierung und in den Parlamenten der Tschechischen Republik auf, in direkte Gespräche mit der Führung der Sudetendeutschen Landsmannschaft einzutreten, um Lösungsmöglichkeiten für die noch offenen Fragen zwischen Tschechen und Sudetendeutschen zu erarbeiten, und begrüßt jüngste Signale in diese Richtung.