Eine sehr interessante Analyse von Friedrich Gruber in den
Oberösterreichischen Nachrichten, die sich mit den
Benesch-Dekreten und der
Frage der Entschädigung der Vertriebenen beschäftigt.
Analyse von Friedrich Gruber
Alle Deutschen sind Verbrecher
Jene Benes-Dekrete, mit denen statt der von den Alliierten 1945
angeordneten Aussiedlung (eine ethnische Säuberung) die gewaltsame
Austreibung deutschsprachiger und ungarischer Bevölkerung aus der Tschechoslowakei
gerechtfertigt wurde, seien Unrecht, hat der tschechische Staatspräsident Havel jüngst
beim Staatsbesuch in Wien wiederholt. Aber man könne sie nicht streichen, weil
sie zu den Gründungsverordnungen der neuen tschechoslowakischen Republik gehören.
Aber auch in der Behandlung und politischen wie sozialen Einstufung der Sudetendeutschen
erweisen sich die Dekrete noch immer als rechtswirksam. Deshalb sollten Politiker wie
Experten, gar Historiker aufhören, sie damit aus der Welt zu reden, daß man sie als
ruhendes Recht, quasi als Gesetze a. D. hinstellt. Das ist unredlich.
Unbestritten ist freilich, daß es sich beim Problemkreis jener etwa sechs Benes-Dekrete
zur Austreibung um eine historisch, emotional, psychologisch und rechtspolitisch heikle
Frage handelt. Aber auch das läßt keine Geschichtsverdrängung zu, wie sie praktiziert
wird: Das Kapitel sei abgeschlossen. Mag gut gemeint sein, aber damit verschleiert man, daß
Benes noch immer als Grundlage dient, moralische, rechtliche und materielle
Wiedergutmachungsansprüche zu verweigern. Absolut unfaßbar ist, daß sich Zeman dabei
auch wieder auf jene Kollektivschuldthese beruft, wonach nach 1945 alle Deutschsprachigen
als Verbrecher galten. Prag müßte mit dieser Rechtsbarbarei in Europa bald alleine da
stehen.
Denn Slowenien etwa plant eine Entschuldigung dafür, daß die so genannten
Avnoj-Beschlüsse seinerzeit pauschal verurteilend auf alle Deutschsprachigen angewendet
wurden. Deshalb bemüht man sich in Slowenien derzeit um eine auf jeden Fall eingehende
Aufarbeitung von Entschädigungsansprüchen: Wer seinerzeit nicht Stütze des
unterdrückenden NS-Regimes war, hat ein Recht auf Wiedergutmachung, Rückgabe oder
Entschädigung. Wer Nazi-Funktionär war, hat Ansprüche verwirkt. Im Detail ist das nicht
einfach, umso mehr als die ethnische Säuberung Deutschsprachiger in Slowenien besonders
blutig war.
Wie man hört, planen Kroatien und Serbien ähnliche Unterscheidungen von Kollaborateuren
und Nazifunktionären von unschuldigen Opfern der pauschalen Vergeltung. In Belgrad und
Zagreb ist man beim Bemühen um eine Annäherung an die EU zu dieser Auffassung gekommen,
die Prag mitten in Europa von sich weist.
Rumänien ist dabei, enteigneten oder unter Druck weggegebenen Besitz (auch nach 1945)
zurückzuerstatten: Dafür muß man nicht mehr wie bisher rumänischer
Staatsbürger sein. Sogar die Erben der Ausgewanderten oder Vertriebenen konnten
Rechtsanspruch auf Rückgabe erheben. Ein Problem dabei in Rumänien ist freilich die
allgemeine Rechtsunsicherheit. Aber grundsätzlich ist man guten Willens um sich
Freunde in Westeuropa zu machen.
Ungarn ist auf diesem Weg unspektakulär schon recht weit fortgeschritten. Probleme gibt
es neuerdings bei der Rückgabe landwirtschaftlichen Nutzgrundes. Aber sonst zieht
Budapest eine recht positive Bilanz aus den Wiedergutmachungsbemühungen: Das Verhältnis
zu Österreich und Deutschland habe sich damit deutlich verbessert, man habe daraus
Sympathien und vielfach konstruktive neue Wirtschaftsbeziehungen entwickelt, sagt man uns
im Budapester Außenministerium.
Wie man hört, will sich deshalb die ebenfalls auf Benes-Dekreten fußende Slowakische
Republik in dieser Frage nicht am Prager Verhalten orientieren, sondern am ungarischen
Weg.
Interessant wird das künftige Verhalten Polens sein. Warschau signalisiert, die mit der
Vertreibung der Deutschen in Zusammenhang stehenden Dekrete im Zuge des EU-Beitritts
zumindest teilweise aufzuheben. Dabei zeigt sich ein Hauptproblem, das auch die
Tschechische Republik belastet: das rechtslogischer Entschädigungsforderungen.
Völkerrechts- und Entschädigungsexperten, die in letzter Zeit ja einige Erfahrung bei
NS-Opfern sammeln konnten, sind indessen der Meinung, daß diese Fragen bei gutem Willen
der Beteiligten alles andere als unlösbar wären. Nur müßte man damit aufhören, die
Vertriebenen im Ungeist der Benes-Dekrete fortgesetzt als Revanchisten hinzustellen, mit
denen man nicht reden könne. Deutsche und österreichische Politiker machten dabei den
Fehler, Gespräche über das Thema mit Prag nur auf Regierungsebene unter Ausschluß der
eigentlich Betroffenen zu führen.
Quelle: Oberösterreichische Nachrichten vom 25.01.2002
http://www.oon.at/nachrichten/Aussenpolitik.asp?ressort=Aussenpolitik&id=257792
mitgeteilt von Walter Mogk im Ostpreußen-Forum 2002-01-25