Wenn einer in Prag dem Regime Benesch/Gottwald zu nahe tritt
(Auszug aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung)

Was Jiri Šetina, Generalstaatsanwalt in Prag, nach der Wende in die Hände nahm, konnte nur mit seinem Scheitern enden. Seine Rechtsbeschwerde gegen das Urteil gegen Bat'a aus dem Jahr 1947 alarmierte die politische Klasse in Prag. Würde dieser Generalstaatsanwalt noch gegen andere politische Strafurteile aus der Zeit zwischen Kriegsende und kommunistischer Machtergreifung angehen? Jan Antonin Bat'a (Eigentümer des Bat'a-Konzerns mit Schuhfabriken u.a. in Zlin) war aufgrund des Benesch-Dekrets Nummer 16 verurteilt und enteignet worden. Zielte Šetina also gegen die Benesch-Dekrete selbst? Etwa auch gegen diejenigen, welche die Deutschen in der Tschechoslowakei rechtlos gestellt, zur Unterdrückung freigegeben hatten? Sogar gegen das Gesetz vom 8. Mai 1946 über die "Rechtmäßigkeit von Handlungen, die mit dem Kampf um die Wiedererlangung der Freiheit der Tschechen und Slowaken zusammenhängen". das die nach Kriegsende begangenen Untaten gegen Deutsche – auch die Massenmorde – nicht nur von Strafbarkeit ausnahm, sondern für rechtmäßig erklärte? Zielte Setina also gegen den Höhepunkt des Staatsunrechts von Benesch und Gottwald? Ja, so meinte er es; der Gefahreninstinkt der Prager politischen Klasse war intakt.

Ein Sturm erhob sich gegen Šetina. Die Kommunistische Partei, die Sozialdemokratische Partei, die katholisch orientierte rechtsliberale Partei distanzierten sich von ihm. Zeitungen griffen ihn an, überschütteten ihn mit Vorwürfen, verlangten, er solle abtreten oder man solle ihn absetzen. Staatspräsident Havel forderte Šetina öffentlich auf, sein Amt niederzulegen.

Ende 1993 wurde ein Strafverfahren gegen Šetina eingeleitet mit Vorwürfen, die sich im Rechtlichen wie im Tatsächlichen seltsam ausnahmen: Preisgabe eines Staatsgeheimnisses, Beleidigung eines Staatsorgans, Gefährdung der Devisenwirtschaft. Das Gericht erster Instanz sprach Šetina nach einem drei Jahre langen Verfahren in allen Punkten frei. Doch im Mai 1997 meldete das frühere kommunistisches Zentralorgan "Rudé Právo" ("Rotes Recht"), der Fall Šetina komme aufs Neue vor Gericht. Und so geschah es. Die zweite Instanz hob den Spruch der ersten auf in einer Verhandlung, der weder der Angeklagte noch sein Verteidiger beiwohnen durften. Im Jahr 2000 steht er gegenüber der Strafjustiz so da wie einst im Jahr 1994.
                                            von Johann Georg Reißmüller

zitert nach dem Brünner Heimatboten 2000-11/12 Seite 184

Frage von Markwart Lindenthal: wann wurde dieser Bericht der FAZ veröffentlicht? Im FAZ-Archiv konnte ich keine Auskunft erhalten.