Bekanntmachung des Ministeriums des Innern vom 2. Dezember 1945 über die Richtlinien zur Durchführung des Dekretes des Präsidenten der Republik über die Arbeitspflicht der Personen, welche die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft verloren haben.
Amtsblatt Nr. 500
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Durch das Dekret des Präsidenten der Republik vom 15. September 1945, Slg. Nr. 71/1945 (2) wurde zum Zwecke der Beseitigung und Wiedergutmachung der durch den Krieg und das Luftbombardement verursachten Schäden sowie auch zur Wiederherstellung des durch den Krieg zerrütteten Wirtschaftslebens eine Arbeitspflicht der Personen eingeführt, welche die tschechoslowakiche Staatsbürgerschaft verloren haben.

Das Ministerium des Innern hat im Einvernehmen mit dem Ministerium für Arbeitsschutz und soziale Fürsorge durch den Erlaß vom 2. November 1945, Nr. II-1620-3/11-45-V/4 auch Richtlinien zur Durchführung dieses Dekretes erlassen, deren wesentlicher Teil, soweit er die Verpflichtung der zur Arbeit zugeteilten Personen und die Verpflichtungen der Arbeitgeber betrifft, im folgenden bekanntgemacht wird:

I. Die Verpflichtungen der zur Arbeit zugeteilten Personen:

1. Eine Person, die zur Arbeit zugeteilt wurde, ist verpflichtet, der Zuteilung Folge zu leisten und zwar auch dann, wenn sie der Auffassung ist, von der Arbeitspflicht befreit zu sein, solange der Bezirksnationalausschuß (die Bezirksverwaltungskommission) über ihre Befreiung nicht entscheidet.

Die zur Arbeit zugeteilten Personen sind verpflichtet, die ihnen auferlegten Arbeiten ordentlich und gewissenhaft zu verrichten und alles zu unterlassen, was das Erreichen des Zwecks in dem betreffenden Arbeitsbereich erschweren oder gefährden könnte. Sie sind gehalten, die ihnen auferlegten Arbeiten an jedem beliebigen Orte zu leisten, und verpflichtet, auch Arbeiten zu verrichten, die nicht zu ihrer normalen Beschäftigung gehören.

Die zur Arbeit zugeteilten Personen haben sich dem Arbeitgeber oder dem Leiter der Arbeiten gegenüber anständig zu benehmen und seinen Anordnungen Folge zu leisten. Im gegenseitigen Verhältnis untereinander müssen sie korrekt sein und dürfen keine Streitigkeiten und Schlägereien hervorrufen.

Weiterhin sind diese Personen verantwortlich für sämtliche ihnen anvertrauten Gegenstände und Geräte und sind – abgesehen von einer eventuellen Bestrafung – zum Ersatz des entstandenen Schadens verpflichtet, wenn diese durch ihren Mutwillen oder durch ihre Fahrlässigkeit beschädigt wurden. Kann der Schuldige nicht ermittelt werden, so haftet für den entstandenen Schaden die ganze Arbeitsgruppe.

Die zur Arbeit zugeteilten Personen, gegebenenfalls ihre Familienangehörigen, müssen sich selbst, ihre Kleidung, ihre Geräte und ihre Unterkünfte in gehöriger Weise sauber halten.

2. Während der Sommerzeit (d. h. vom 1. April bis 30. September) stehen die zur Arbeit zugeteilten Personen um 5 Uhr auf, während der Winterzeit (d. h. vom 1. Oktober bis zum 31. März) um 6 Uhr, an Sonn- und Feiertagen stets um eine Stunde später, und gehen während der Sommerzeit um 22 Uhr und während der Winterzeit um 21 Uhr schlafen – soweit der Arbeitgeber keine Abweichungen gestattet.

Die tägliche Arbeitszeit umfaßt 8 Stunden, kann jedoch bis auf 10 Stunden täglich ausgedehnt werden. Sonntags- und Feiertagsarbeit ist grundsätzlich erlaubt. Die Mittagspause dauert in der Regel eine Stunde. Das Mittagessen kann mit Rücksicht auf die Arbeits- oder Witterungsverhältnisse unmittelbar auf der Arbeitsstätte gereicht werden.

Die Abendstunden nach der Arbeit sind dem Waschen, der Reinigung und der Instandsetzung der Kleidung, des Arbeitsgeräte und der Unterkunft sowie auch der Erholung vorbehalten. Es ist jedoch nicht gestattet, sich ohne Begleitung des Arbeitgebers oder seines Vertreters während der Nachtstunden oder während der Dämmerung außerhalb der zugewiesenen Unterkunft aufzuhalten.

Näheres kann durch Vorschriften geregelt werden, die vom zuständigen Bezirksnationalausschuß (von der zuständigen Bezirksverwaltungskommission) erlassen werden.

3. Die zur Arbeit zugeteilten Personen sind wegen weniger schwerwiegender Verstöße gegen die Disziplin und die Arbeitsmoral der Disziplinargerichtsbarkeit der Bezirksnationalausschüsse (Bezirksverwaltungskomissionnen) unterworfen, die in solchen Fällen folgende Strafen verhängen können:

a) einen Verweis,

b) eine Strafe von 20 bis 100 Kcs (welche der Arbeitgeber von der Arbeitsvergütung abzieht und an den zuständigen Bezirksnationalausschuß [die zuständige Bezirksverwaltungskommission] abführt),

c) die Zuweisung von Sonderarbeiten, gegebenenfalls auch an einer anderen Arbeitsstelle für die Dauer bis zu 5 Tagen (die Gesamtarbeitszeit darf 12 Stunden täglich nicht übersteigen) im Einvernehmen mit dem zuständigen Bezirksamt für Arbeitsschutz.

Die Strafen werden einzeln auferlegt.

Übertretungen der Bestimmungen des § 3 Abs. 1 und des § 4 Abs. 1 sowie erheblicher Verletzungen der in § 7 Abs. 1 des Dekretes Slg. Nr. 71/ 1945 auferlegten Verpflichtungen bestraft der Bezirksnationalausschuß (die Besirksverwaltungskommission) mit Gefängnis bis zu einem Jahr.

4. Ist die zur Arbeit zugeteilte Person der Auffassung, daß ihr Unrecht zugefügt wurde, so darf sie nicht eigenmächtig Abhilfe schaffen, sondern hat den Fall in gehöriger Form mündlich oder schriftlich dem Orts- oder Bezirksnationalausschuß (der Orts- oder Bezirksverwaltungskommission) vorzutragen. Das Gleiche gilt von Gesuchen aller Art. Der Arbeitgeber gewährt die dazu notwendige Freizeit.

5. Die Pflichten der in Internierungs- oder Arbeitslagern der Bezirksnationalausschüsse (Bezirksverwaltungskommissionen), gegebenenfalls des Amtes für nationale Sicherheit untergebrachten Personen und die Disziplinargewalt über sie werden in den einschlägigen Hausordnungen der Lager geregelt.

II. Die Verpflichtungen der Arbeitgeber:

1. Durch Zuteilung zur Arbeit darf der stetige Fortgang der Abschiebung der Angehörigen der deutschen und der madjarischen Nationalität über die Grenze in keinem Falle unterbrochen werden. Die Arbeitskräfte können nur zeitweilig zugeteilt werden, längstens bis zu dem Zeitpunkt, an dem ihre Abschiebung eingeleitet wird. Sobald über die Abschiebung der zugeteilten Kräfte über die Grenze entschieden ist, muß sie der Arbeitgeber auf seine Kosten zu dem vom Bezirksamt für Arbeitsschutz nach den Weisungen der die Abschiebung durchführenden Organe bestimmten Ort befördern, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob durch ihre Abschiebung wirtschaftliche Schäden entstehen.
Ist der Arbeitsplatz so weit vom Ort des bisherigen Wohnsitzes oder Aufenthaltes der zugeteilten Person entfernt, daß ihr eine tägliche Hin- und Rückreise nicht möglich ist, werden den Arbeitgebern grundsätzlich die Familien, für welche die zur Arbeit zugeteilte Person zu sorgen hat, vollständig zugeteilt, also auch die Angehörigen dieser Familie, welche der Arbeitspflicht nicht unterliegen oder arbeitsunfähig sind.
Den zur Arbeit zugeteilten Personen sowie ihren Familienmitgliedern darf es nicht verwehrt werden, an den Arbeitsort die erforderliche Ausstattung (Kleider, Schuhe, Wäsche, Geschirr u. ä.) mitzunehmen, und zwar mindestens in dem für die Abschiebung über die Grenze festgesetzten Umfange.
Der Arbeitgeber ist verpflichtet, für eine angemessene Unterbringung, Verpflegung und Bewachung der zugeteilten Arbeitskräfte, gegebenenfalls auch ihrer Familien zu sorgen. Die Verpflegung der arbeitenden Personen ist entsprechend der geforderten Arbeitsleistung im Rahmen der geltenden Ernährungvorschriften zu regeln. Weiterhin muß der Arbeitgeber ihnen die Gelegenheit und die Mittel bieten, sich selbst sowie ihre Kleidung und Unterkunft sauber zu halten und für ihren Gesundheitszustand zu sorgen. Die zur Arbeit zugeteilten Personen, gegebenenfalls auch die nichtarbeitenden Familienmitglieder sind in würdiger und menschlicher Weise zu behandeln. Personen, die sich gegen diese Anordnung vergehen, werden streng bestraft.
Arbeitgebern, welche die bei der Zuteilung deutscher Arbeitskräfte übernommenen Verpflichtungen in irgendeiner Beziehung verletzen, werden die Arbeitskräfte entzogen und keine Ersatzarbeitskräfte mehr zugeteilt.

Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die Arbeit so zweckmäßig wie möglich zu organisieren, die zugeteilten Arbeitskräfte mit Arbeitsgerät auszustatten und alle notwendigen Vorkehrungen zur Verhütung von Unfällen der Arbeitenden zu treffen.

2. Der Arbeitgeber zahlt für die tatsächlich ausgeführte Arbeit eine Vergütung in Höhe der Sätze, welche durch die Lohnregelungen in dem betreffenden Arbeitsbereich festgesetzt sind, je nach Lage des Falles auch mit den entsprechenden Zulagen für Überstunden, für Nachtarbeit, für Sonntags- und Feiertagsarbeit, mit Leistungszulagen, Schwerarbeiterzulagen u. ä.

Gibt es keine solche Regelung, so wird eine Vergütung in Höhe des ortsüblichen Lohnes für Arbeiten gleicher oder ähnlicher Art gezahlt.

Bestehen Zweifel darüber, welche Löhne ortsüblich sind, so entscheidet der Bezirksnationalausschuß (die Bezirksverwaltungskommission) im Einvernehmen mit dem Bezirksamt für Arbeitsschutz.

Entspricht die Leistung einer Arbeitskraft nicht den Anforderungen, welche an Arbeiter mit normaler Leistungsfähigkeit gestellt werden, kann die Vergütung nach dem Maße der verminderten Leistung herabgesetzt werden. Die Herabsetzung der Vergütung ist mit der entsprechenden Begründung unverzüglich dem Bezirksamt für Arbeitsschutz anzuzeigen, in dessen Sprengel sich der Arbeitsplatz befindet.

Die Herabsetzung der Vergütung ist rechtlich unwirksam, wenn das Bezirksamt für Arbeitsschutz innerhalb von 15 Tagen von dem Zeitpunkt, zu dem ihm die Anzeige zugegangen ist, mitteilt, daß es der Herabsetzung nicht zustimmt.

Das Ministerium für Arbeitsschutz und soziale Fürsorge kann in begründeten Fällen im Einvernehmen mit dem Ministerium des Innern Abweichungen von den die Zahlung der Arbeitsvergütung regelnden Grundsätzen festsetzen.

Soweit neben der Vergütung in Geld auch Sachbezüge (Wohnung, Verpflegung, Beleuchtung, Beheizung u. ä.) gewährt werden, werden sie auf die Gesamtvergütung für die geleistete Arbeit angerechnet und nach den geltenden, vom zuständigen Landesnationalausschuß für den Bereich der Sozialversicherung aufgestellten Sätzen bewertet, soweit nicht Sondervorschriften abweichende Bestimmungen enthalten.

3. Von der Gesamtbruttovergütung nach dem vorhergehenden Abschnitt führt der Arbeitgeber die Steuerabzüge und die Beiträge für die Sozialversicherung ab, und – wenn ihm eine ganze Familie zugeteilt wurde, die er erhalten muß – auch die Beträge, welche auf den Unterhalt der arbeitsunfähigen oder der Arbeitspflicht nicht unterliegenden Familienmitglieder entfallen. Auch für die Höhe dieser Abzüge sind die von den Landesnationalausschüssen für die Zwecke der Sozialversicherung aufgestellten Sätze maßgebend. Außerdem zieht der Arbeitgeber von der Gesamtvergütung 20 % ab, die er auf ein Sonderkonto bei dem Bezirksnationalausschuß (bei der Bezirksverwaltungskommission) überweist, in dessen Zuständigkeitsbereich die betreffende Person arbeitet. Dorthin überweist er auch die Beträge, welche er dadurch erspart hat, daß er der zugeteilten Person keinen bezahlten Urlaub gewährt, die Vergütung für die sogenannten bezahlten Feiertage sowie auch den gemäß § 1154 b) des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches, gegebenenfalls nach den einschlägigen Vorschriften des Gesetzes über die  Privatangestellten, weitergezahlen Lohn.

Die restliche Vergütung wird ausgezahlt:
den frei (außerhalb eines Lagers) lebenden Personen in die Hand, bei den im Lager lebenden Personen an die Lagerverwaltung.

Vergütungen nach diesen Richtlinien werden rückwirkend vom 1. Oktober 1945 bezahlt.

Über die den zugeteilten Personen zustehende Vergütung hat der Arbeitgeber mit den dazugehörigen Belegen versehene Aufzeichnungen in der Weise zu führen, daß es möglich ist, nicht nur die Richtigkeit der Vergütung. sondern auch die Richtigkeit der einzelnen Abzüge zu prüfen. Der Arbeitgeber muß diese Aufzeichnungen samt den Belegen ebensolange aufbewahren wie die Lohnbelege der im freien Arbeitsverhältnis stehenden Personen und den Beauftragten des Bezirksnationalausschusses (der Bezirksverwaltungskommission, des Bezirksamtes für den Arbeitsschutz oder der Lagerverwaltung) die Einsicht in diese Unterlagen gestatten. Durch diese Regelung verlieren alle bisher erlassenen, die Vergütung für die zur Arbeit zugeteilten Personen regelnden Vorschriften ihre Gültigkeit.

4. Für die Sozialversicherung der diesen Richtlinien unterliegenden Personen, mit Ausnahme der in Internierungslagern polizeilich sichergestellten, gelten die allgemeinen Vorschriften über die öffentlich-rechtliche Sozialversicherung. Das Verhältnis dieser Personen den Arbeitgebern gegenüber wird für den Bereich der Sozialversicherung als Arbeits- (Dienst-) Verhältnis angesehen. In gleicher Weise wird die ihnen für die geleistete Arbeit nach den einschlägigen Lohn- und Gehaltsregelungen zustehende Vergütung als anrechnungsfähiger Arbeitsverdienst im Sinne der einschlägigen Vorschriften über die Sozialversicherung angesehen. Bei der Gewährung von Heilfürsorge an Personen, die in Konzentrations- oder Arbeitslagern untergebracht sind, einigt sich der zuständige Träger der Krankenversicherung mit der Lagerverwaltung. Diesen Personen werden die Geldleistungen durch Vermittlung der Lagerverwaltung ausgezahlt.

III. Aufhebung der Zuteilung zur Arbeit:

Zur Aufhebung einer Zuteilung zur Arbeit kommt es:

1. wenn die Person unfähig wird, die ihr auferlegte Arbeit zu leisten (über die Befreiung von der Arbeitspflicht entscheidet der Bezirksnationalausschuß),

2. durch die an das zuständige Bezirksamt für Arbeitsschutz gerichtete Mitteilung des Arbeitgebers, daß er auf die zugeteilten Kräfte nicht mehr reflektiere; – diese Mitteilung ist in der Weise vorzunehmen, daß das Bezirksamt für Arbeitsschutz – sofern es seine Zustimmung erteilt – die auf diese Weise freigewordenen Kräfte rechtzeitig auf eine andere Arbeitsstelle umdisponieren kann,

3. durch Ablauf der Zeit, für welche die Personen dem Arbeitgeber zur Arbeit zugewiesen wurden,

4. vor Ablauf dieser Zeit, wenn sie das Bezirksamt für Arbeitsschutz dem Arbeitgeber wegnimmt, entweder

a) als Strafe wegen der Nichterfüllung der Verpflichtungen oder

b) deshalb, weil es nötig ist, einen dringenden Bedarf mit den bereits für eine Arbeit von geringerer Wichtigkeit zugeteilten Kräften zu befriedigen,

5. durch die Abschiebung,

6. durch den Tod.

Für den Minister:

Dr. Novak (eigenhändig)

(1) Veröffentlicht am 11. Dezember 1945.

(2) Das Dekret Slg. Nr. 71 wurde am 19. September 1945 erlassen. Bei dem hier angegebenen Datum des 15. September handelt es sich offenbar um einen Druckfehler im Amtsblatt.