Benešs „Zehn-Punkte-Plan“ von 1944
Richtlinien für die Ausweisung der deutschen Bevölkerung aus der wiedererrichteten Tschechoslowakei.

1
Angenommen wird der durch die Gesetze des Deutschen Reiches bestimmte Grundsatz, daß alle Deutschen in der CSR Reichsbürger sind. – Die tschechoslowakische Regierung behält sich das Recht vor zu bestimmen, welche Deutschen die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft bekommen oder behalten können.

2
Festgelegt wird der Grundsatz, daß bis spätestens in fünf Jahren diejenigen, die die Entscheidung der CSR erhalten, daß sie das tschechoslowakische Territorium verlassen sollen, dies tun. Es wird bestimmt werden, welche Menge und welche Art von Eigentum sie mitnehmen können. Für alles andere erhalten sie vom tschechoslowakischen Staat eine Bestätigung, und die Tschechoslowakei wird dieses Vermögen zur Bezahlung der Reparationen von Seiten Deutschlands für die in der CSR verursachten Schäden benützen. Deutschland wird daher zum  Ersatz an diese ehemaligen tschechoslowakischen Bürger verpflichtet sein und wird dies nach eigener Entscheidung und Gesetzgebung durchführen.

3
Festgelegt wird der Grundsatz, daß es in der Tschechoslowakischen Republik keine Gemeinde geben darf, die nicht wenigstens 67 % Bevölkerung tschechischer, slowakischer oder karpatorussischer (ukrainischer) Nationalität hätte. Die Regierung wird dementsprechend Vorkehrungen treffen, damit innerhalb einer bestimmten Zahl von Jahren dies verwirklicht werde.

4
Der Staat wird der tschechoslowakische Nationalstaat sein. Die Minderheitsbürger werden alle individuellen demokratischen Bürgerrechte haben, sie werden jedoch gesetzlich nicht als ein nationales und politisches Kollektivum gelten. Vom Staate unterhaltene Schulen werden nur tschechoslowakisch (und ukrainisch) sein. Von diesem Grundsatz können nur deutsche Gemeindeschulen [Volksschulen, d.Ü.] ausgenommen werden. Die Sprache der Staats-, Landes- und Kreisbehörden wird nur tschechoslowakisch (und ukrainisch) sein. Im übrigen wird es überall eine volle demokratische Toleranz und Übereinstimmung geben. Der Staat wird dezentralisiert werden und die lokale Selbstverwaltung eine vollständige sein.

5
Es wird ein detaillierter Plan des Transfers in politischer, wirtschaftlicher, technischer und finanzieller Hinsicht ausgearbeitet werden. Es wird dies ein umfangreicher Fünfjahresplan im Rahmen des ganzstaatlichen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Fünfjahresplanes sein, der sich in jeder Hinsicht in den gesamten Rekonstruktionsplan der Republik hineinfügen wird.
Das Hauptgros des Transfers soll innerhalb von zwei Jahren durchgeführt werden. Der wirtschaftliche Grundsatz des Transfers soll sein, daß das gesamte Inventar von Industrieunternehmen, Gewerbebetrieben und landwirtschaftlichen Besitzen an Ort und Stelle bleibt und daß bis zu deren Übernahme die bisherigen Eigentümer und Verwalter für deren Zustand haften. Wie angeführt, wird das übernommene Eigentum der ausgesiedelten Deutschen und Ungarn als Reparationen betrachtet und Deutschland und Ungarn gutgeschrieben.

6
Gleich in den ersten Monaten nach Deutschlands Fall werden (soweit sie nicht zwecks Bestrafung in der Republik festgehalten werden) bestimmte Kategorien von Bürgern deutscher Nationalität, die es wegen ihres Verhaltens und Vorgehens verdienen, aus der Republik ausgewiesen werden:

a
alle ehemaligen Bürger der CSR, die Mitglieder der Gestapo, der SS-Formationen, der deutschen Polizei waren, und alle Beamten deutscher Nationalität, die nach München [September 1998] oder nach dem 15. Mai 1939 ernannt wurden und diejenigen Beamten, die sich offensichtlich auf die Seite des neuen Regimes schlugen.

b
Henlein-Funktionäre in der ganzen Republik, Ordner, Hitlerjugend, führende Funktionäre aller Organisationen der Partei (Turner usw.).

c
Diejenigen, die in uniformierten Verbänden an den Fronten und auch im Hinterland während des Krieges Deutschland dienten, falls sie nicht eine revolutionäre antideutsche Tätigkeit nachweisen oder nachweisen, daß sie tschechischer, slowakischer oder karpatorussischer Nationalität sind.

d
Lehrer, Professoren, Mitglieder nazistischer Studentenorganisationen, Juristen, Ingenieure – Teilnehmer am Vereins- und politischen Leben nazistischer Fachorganisationen.

e
Alle Deutschen, die aus der Besetzung der Tschechoslowakei wirtschaftlich und finanziell für sich einen Nutzen gezogen haben oder dies versucht haben.

7
In dem wirtschaftlichen und finanziellen Transferplan muß an die Finanzierung des Transfers jenes Teiles der Bevölkerung gedacht werden, der an der gegenstaatlichen Tätigkeit gegen die CSR nicht teilgenommen hat. Aus diesem Titel Aussiedlern seitens der CSR zuerkannte Ersatzleistungen (für zurückgelassenes Eigentum u.ä.) werden mit den tschechoslowakischen Forderungen für die durch die Deutschen in der CSR verursachten Schäden kompensiert. [Anmerkung ML: Liegt hier ein Übersetzungsfehler vor? Jedenfalls erscheint es mir als Denkfehler, wenn Beneš ankündigt, Leistungen der CSR an Aussiedler mit Forderungen gegen das Deutsche Reich zu „kompensieren“. Logischer in Benešs Sinne wäre, beide Beträge zusammenzuzählen! Ich bitte dringend um Überprüfung durch Kenner der tschechischen Sprache!]

8
Bei dem Transferplan wird an die Rückkehr unserer Leute aus Wien, Österreich, eventuell auch aus Jugoslawien gedacht werden.

9
Es wird ein Plan einer systematischen Organisation der Grenzler im Rahmen des Staats-, Militär-, Polizei-, Zoll- und Finanzdienstes vorbereitet werden.

10
Analog wird in Sachen Transfer der ungarischen Bevölkerung aus der Slowakei und Karpatorußland – mit den sich aus der Unterschiedlichkeit der Verhältnisse ergebenden Änderungen – vorgegangen werden. Mit Rücksicht auf die erhebliche Zahl der im ungarischen Staatsgebiet ansässigen Slowaken und Karpatorussen wird es hier zum größten Teil um einen Bevölkerungsaustausch gehen.

Dieser Text wurde zitiert nach der seit 1950 vom damaligen Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte ausgearbeiteten und 1957 erstmalig herausgegebenen, 1993 im Weltbild-Verlag unter ISBN 3-89350-560-1 unverändert neu herausgebrachten Dokumentation „Die Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus der Tschechoslowakei“  Band 1, Seite 181 ff.
Der Wortlaut wurde nach damaliger Fußnote: „Übersetzt aus: Jaromir Smutny, Nemci v Cechoslovensku a jich odsun z republiky (Die Deutschen in der Tschechoslowakei und ihr Abschub aus der Republik). (Doklady a ropzpravy, Bd.26, London 1956, S. 64 – 68).“
Smuty bemerkt dort einleitend zu diesem Plan:
„Der Umfang und die verschiedenen Modalitäten der Abschubs wurden bei Beratungen des Präsidenten der Republik mit den Mitgliedern der Regierung und auch mit einigen Mitgliedern des Staatsrates allseitig erwogen. Die Ansichten Dr. Benešs erfaßt eine Niederschrift, die die grundsätzlichen Linien der Minderheitenpolitik nach dem Kriege enthält und als Unterlage für die Erwägungen und Diskussionen diente.“
Siehe hierzu auch die KSZE-Resolution vom 23. September 1996!