Der Ausverkauf des moralischen Wertesystems Europas
Europäische Union oder Eurasische Freihandelszone?

Deutsche Europa-Funktionäre bereisen im Gefolge der Osterweiterung der EU die neuen Mitgliedsländer und belehren die dortigen Regierungen, wie sie mit ihren nationalen Minderheiten – z.B. mit den Veteranen und Nachkommen der sowjetrussischen Besatzungstruppen im Baltikum – umzugehen haben. Die Lage der durch Flucht und Vertreibung geschrumpften deutschen Restgruppen in der Tschechischen Republik und in Polen kümmert sie am wenigsten.

Dabei kann es zu absurden Situationen kommen. Ein deutscher Botschafter bemühte sich auf einer Konferenz in Zagreb, den zur EU drängenden kroatischen Politikern klarzumachen, daß die Rückkehr der aus Kroatien geflohenen Serben eine wichtige Voraussetzung für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen sei. Der Frage eines kroatischen Politikers, ob die deutsche Regierung sich mit gleichem Nachdruck für das Recht der deutschen Vertriebenen aus Schlesien und dem Sudetenland einsetze, konnte er nur mit der hilflosen Antwort „das ist ein ganz anderes Problem“ begegnen. Spöttisches Gelächter des Publikums zeigte, was man von dieser doppelten Moral hält.

Der moralische Bankrott der EU wurde bereits bei den Beitrittsverhandlungen mit der Tschechischen Republik offenbar, als man darauf verzichtete, Massenvertreibungen als Mittel der Politik zu verurteilen. Die vom Tschechischen Parlament einstimmig bestätigte Straffreiheit für Massenmörder war für den deutschen Erweiterungskommissar Vorheugen kaum ein Schönheitsfehler, falls es sich bei den Opfern nur um Deutsche oder Ungarn handelte.

Dessen ungeachtet werden weiterhin pathetische Reden über ein angebliches moralisches Wertesystem der EU gehalten.

In welche Richtung sich das Wertesystem der EU Politiker bewegt, machte der Fall des italienischen Kandidaten Buttiglione für den Posten des EU-Justizkornmissars deutlich. Ohne Rücksicht auf die verordnete political correctness hatte er als Privatmann seine ablehnende Haltung gegenüber der Homoehe geäußert. Seine Versicherung, daß er sich als EU Kommissar streng an die EU-Richtlinien halten werde, konnte ihn vor dem Verdikt der EU-Politiker nicht retten. Dagegen wurde die Eignung zum EU-Kommissar für Chancengleichheit des einstigen tschechischen Ministerpräsidenten Spidla von niemandem bezweifelt, obwohl er mehrfach – nicht als Privatmann – die Rechtmäßigkeit der Vertreibung von 3 Millionen Deutschen bestätigt hat, obwohl er die Straffreiheit tschechischer Massenmörder auch als EU-Kommissar vertritt.

Die Heuchelei dieser EU-Moral kann kaum noch überboten werden. Sie steht aber angesichts der ukrainischen Wünsche nach einer engen Anbindung an die EU vor einer neuen Herausforderung. Nachdem die Ukraine aus eigener Kraft mit friedlichen Mitteln und hohem Einsatz die demokratischen Spielregeln durchgesetzt und sich die Achtung von Seiten Europas erworben hat, suchen Europa-Strategen schon nach Argumenten, die plausibel machen sollen, daß Kiew weiter von Europa entfernt ist als Ankara. Wer im ukrainischen Czernowitz den Spuren der europaweit bekannten Schriftsteller und Dichter wie Paul Celan, Rose Ausländer, Alfred Margul Sperber, Gregor von Rezzori, Karl Emil Franzos u. a. nachgeht, wird überhaupt nicht verstehen, daß Diarbakir an der irakischen Grenze eher zur EU kommen soll als diese osteuropäische Talentschmiede, wo das Zusammenleben vieler Völker und Religionen schon vor dem ersten Weltkrieg vorbildlich verwirklicht wurde.

Selbst unter dem bisherigen halbdemokratischen Regime hat die Ukraine die Fähigkeit bewiesen, die Spannungen zwischen zahlreichen rivalisierenden Religionsgemeinschaften und Volksgruppen ohne Blutvergießen auszuhalten. Den von Stalin deportierten Krimtataren hat sie die Rückkehr in ihre Heimat nicht blockiert. Über 260.000 sind von ihnen seit der Wende aus Usbekistan und Kasachstan in ihre Heimat, auf die Halbinsel am Schwarzen Meer, zurückgekehrt. Damit beweist die Ukraine, daß sie das Heimatrecht von Einzelpersonen und Volksgruppen höher schätzt als ihre westlichen Nachbarstaaten Polen und die Tschechische Republik.

Nachdem die veröffentlichte Meinung,und traditionslose Politiker die christliche Seele aus Europa verbannt haben, lassen sie aufwendige Konferenzen abhalten, um nach einer anderen, einer Gott-losen Seele Europas zu suchen. Ob die Fundsachen, wie Lebensstandard, Wirtschaftswachstum, Börsenindex u. a., auch noch Seele genannt werden, ist zu bezweifeln.

Wenn unsere Europa-Politiker den Ausverkauf des moralischen Wertesystems Europas weiterbetreiben, wenn für sie nur ökonomische Kriterien maßgeblich sind, dann werden die Vorschläge, die „Europäische Union“ in „Eurasische Freihandelszone“ umzubenennen, an Gewicht gewinnen.

Prof. em. Dr. theol. Adolf Hampel, Schloß, 35410 Hungen, Tel. 06402-6739(Bem.: Der Artikel wurde bislang (Februar 2005) von der „Sudetendeutschen Zeitung“ nicht veröffentlicht).

Dieser Text entstammt dem „Sudetendeutschen Erzieherbrief“ 2005 Folge 2, Seiten 53 bis 55. ML 2008-05-18