Die Besetzung des Sudetenlandes 1918/19 durch tschechisches Militär (Teil I + II)

(bdh) In diesen Wochen jährt sich zum 83. Mal ein Vorgang, der als der eigentliche Ausgangspunkt der sudetendeutschen Frage angesehen werden kann: Die Besetzung der deutschsprachigen Grenzgebiete der böhmischen Länder durch tschechisches Militär. Der Vorgang war bisher schlecht dokumentiert. Im Mitteilungsblatt der SL Nr. 2/1996 wurde deswegen dazu aufgerufen, diesen „weißen Fleck“ unserer Heimatgeschichte zu schließen. Als ein Zwischenergebnis wurde Anfang 1999 eine Liste mit den Kämpfen bei der Besetzung veröffentlicht (Nr. 2/99, S. 72f.). Nach heutigem Kenntnisstand sind bei der Besetzung genau zwanzig Sudetendeutsche zu Tode gekommen, siebzehn der Toten sind inzwischen namentlich bekannt.

Aus den Recherchen über die Besetzung wurde inzwischen eine (unveröffentlichte) Dokumentation von über 300 Seiten mit etwa 1700 Fußnoten. Der Ablauf der Ereignisse ist nun weitgehend gesichert. Man kann durchaus sagen, daß die zahlreichen Veröffentlichungen über die Entstehung der Tschechoslowakei in einigen Punkten ergänzt oder korrigiert werden müssen. Beispielsweise heißt es in vielen Publikationen, die sudetendeutschen Gebiete seien innerhalb von drei Wochen von drei tschechischen Regimentern nahezu ohne Widerstand besetzt worden. Tatsächlich dauerte die Besetzung drei Monate lang (31. 10. 1918 bis 28. 1. 1919) und es waren etwa dreißig tschechische Regimenter daran beteiligt, wenn auch teilweise mit kleinen Abteilungen. Die Befehle wurden zentral vom Oberkommandierenden Feldmarschall-Leutnant Jan Divis gegeben, die politische Verantwortung trug Minister Václav Klofác, die wichtigsten Organisatoren der Besetzung waren Sokol-Chef Dr. Scheiner und der Stabsoffizier Rudolf Kalhous.

Es bleibt verblüffend, daß mehr als achtzig Jahre lang niemand die damaligen Vorgänge zusammenfassend dokumentiert hat, es existieren lediglich Arbeiten für einzelne Gebiete (Böhmerwald, Südmähren, Nordmähren/Sudetenschlesien), die aber nicht den Zusammenhang der Ereignisse untereinander, mit den Kämpfen in der Slowakei und mit dem politisch-diplomatischen Geschehen erfassen. Vermutlich lag diese Zurückhaltung daran, daß sich seinerzeit keine Seite mit Ruhm bekleckert hat. Das damalige Geschehen ist eine Geschichte von Skrupellosigkeit und Brutalität auf der einen, der tschechischen, und von Kurzsichtigkeit, Unentschlossenheit, Verwirrung und Naivität auf der anderen, der (sudeten)deutschen Seite.

Nachfolgend wird der erste Teil einer zweiteiligen Zeittafel veröffentlicht, wie immer im Mitteilungsblatt ohne wissenschaftlichen Apparat (Anmerkungen und Literaturangaben). Wie immer sind wir für Ergänzungen und Korrekturen aller Art dankbar. – Dem damaligen Sprachgebrauch folgend bezeichnet der Begriff „Sudetenland“ hier normalerweise nur die deutschsprachigen Gebiete Nordmährens und Sudetenschlesiens. Dagegen bezeichnet der Begriff „deutsch“ hier die Sprach- und Volkszugehörigkeit und nicht die staatliche Zugehörigkeit zum Deutschen Reich. Wenn diese gemeint ist, wird das Wort „reichsdeutsch“ verwendet. Die Begriffe „Staatssekretär“ und „Unterstaatssekretär“ bedeuten im heutigen Sprachgebrauch Minister bzw. Staatssekretär. – Abkürzungen: AM = Außenminister, FML = Feldmarschall-Leutnant, IR = Infanterieregiment, MG = Maschinengewehr, SchR = Schützenregiment, NV = Narodni Vybor (Nationalausschuß), tsch. = tschechisch, tsl. = tschechoslowakisch.

Zeittafel:

Sonnabend, 13. Juli 1918
Prag: Gründung des Tschechischen Nationalausschusses (Národní Výbor), Vorsitzender Kramár, stv. Vorsitzende Vaclav Klofác und Svehla. Er strebt offen die Bildung eines unabhängigen tschechoslowakischen Staates an und trifft bald auch militärische Vorbereitungen.

Montag, 16. September 1918
Zusammenbruch der bulgarischen Front, damit ist der Krieg für Österreich-Ungarn militärisch verloren.

Donnerstag, 26. September 1918
Paris: Bildung einer provisorischen tsl. Regierung (Masaryk Präsident und zugleich Ministerpräsident und Finanzminister, Beneš Außen- und Innenminister, Milan R. Stefaník Kriegsminister). – Reichsdeutsche Militärs in Wien erwägen im Falle von Unruhen in Deutschböhmen den Einmarsch.

Anfang Oktober 1918
Hunger in Deutschböhmen. Die Menschen tauschen alles Verwertbare gegen Lebensmittel ein, dadurch gelangen auch Waffen und Munition von sudetendeutschen in tschechische Hände.

Freitag, 11. Oktober 1918
Wien: Die sächsische Gesandtschaft verhandelt mit dem Bevollmächtigten des dt. Generalstabes in Baden bei Wien über die Vorbereitung reichsdeutscher Gegenmaßnahmen im Falle eines tschechischen Einrückens in Deutschböhmen.

Sonnabend, 12. Oktober 1918
Tschechische Abgeordnete folgen einer Einladung des Kaisers nach Baden bei Wien, wo sie drei Forderungen vorlegen: Sofortige Einsetzung einer tsch. Nationalregierung, tsch. Teilnahme an der Friedenskonferenz und die Verlegung aller tsch. Regimenter in die böhmischen Länder. Außerdem verlangen sie die Entfernung aller deutschen und magyarischen Verbände aus den böhmischen Ländern.

Montag, 14. Oktober 1918
Wien: Deutschnationale und christlich-soziale Politiker aus Böhmen erörtern mit dem dt. Botschafter für den Fall politischer Änderungen und sozialer Unruhen den Einmarsch deutscher Truppen in Deutschböhmen. Die Initiative zu den Gesprächen ging von den sddt. Vertretern aus. – In Böhmen grassiert seit September die Spanische Grippe, sie fordert bis November mehrere zehntausend Opfer.

Dienstag, 15. Oktober 1918
Frankreich anerkennt als erstes alliiertes Land die tsl. Unabhängigkeit, die in Paris am 18. 10. 1918 proklamiert wird. Tschechische Eisenbahner weigern sich, Züge mit Lebensmitteln und Kohle in das hungernde Wien und die deutschböhmischen Industriegebieten weiterzuleiten, sondern leiten sie nach Prag um.

Sonntag, 27. Oktober 1918
Eger(?): Die Proklamation einer „Egrischen Republik“ findet zunächst wenig Resonanz. Zu den Initiatoren gehört Josef Mayer, er ist Agrarier und vom 30. 10. 1918 bis 15. 3. 1919 dt.-österreichischer Staatssekretär für Heereswesen (= Verteidigungsminister). Er gehört zu den Befürwortern einer militärischen Verteidigung, im Mai 1919 unternimmt er sogar Anstrengungen zur Rückeroberung der Sudetengebiete. – Sein Unterstaatssekretär im Staatsamt für Heereswesen ist Ende 1918 der Sozialdemokrat Julius Deutsch. Einer recht guten Quelle zufolge behindern im Nov./Dez. 1918 Außenminister Otto Bauer (ebenfalls Sozialdemokrat) und Julius Deutsch Bestrebungen für eine wirksame Verteidigung.

Montag, 28. Oktober 1918
Ausrufung der Tschechoslowakei in Prag, noch am selben Tag beginnt die Aufstellung tschechischer Militäreinheiten. Ebenfalls noch am 28. 10. 1918 werden auf Weisung des späteren Eisenbahnministers Zahradnik alle Lebensmittel- und Kohlelieferungen nach Österreich (Wien) und Deutschland gestoppt.

Dienstag, 29. Oktober 1918
Wien: Die deutschböhmischen Reichsratsmitglieder proklamieren die Provinz Deutschböhmen.
Prag: Der NV übernimmt das Kommando über die Gendarmerie, er hat aber noch keine Truppen. Die Kaserne des Egerländer IR 73 in Prag wird bereits von Sokoln kontrolliert. Das Regiment wird am 29.10. entwaffnet und fährt am 30.10. wunschgemäß nach Hause.

Mittwoch, 30. Oktober 1918
Prag: Unterredung Lodgmans mit Abg. Svehla und Dr. Rašín. Lodgman wird klar, daß tschechischerseits keine gleichberechtigten Verhandlungen gewollt sind.

Wien: Bildung einer Landesregierung des Sudetenlandes (Sitz Troppau); der Böhmerwald kommt zum Land Oberösterreich.
Josef Mayer wird dt.-österr. Staatssekretär für Heerwesen, Viktor Adler (Sozialdemokrat), Staatssekretär für Äußeres.
Deutsch-Österreich bittet die dt. Reichsregierung um Waffenhilfe, weil es nicht in der Lage sei, die Unantastbarkeit ihrer Staatsgebiete zu sichern und bittet, „den Schutz des deutsch-österreichischen Staatsgebietes zu übernehmen“ (das schließt auch und gerade die Sudetengebiete ein).
Tschechische Vertreter erklären, die Eingriffe auf deutschböhmischen Eisenbahnstrecken seien rein technisch bedingt und hätten keine politische Bedeutung.

In Prag, Budweis, Iglau, Olmütz, Mährisch Ostrau, Lundenburg, Pilsen und Neuhaus geht das Militärkommando an die Tschechen über. Die Garnisonen in Olmütz und Iglau waren überwiegend deutsch, Konfusion (Olmütz) und Dienstunwilligkeit der Mannschaft (Iglau) führen dazu, daß das Kommando dennoch an die Tschechen übergeht. Auch die kleinen tsch. Einheiten in Warnsdorf und Rumburg (Teile des Pilsener SchR 7) kommen unter tschechisches Kommando. Besonders folgenschwer ist der Kommandowechsel in Böhmisch Leipa, wo 400 tschechische Soldaten des IR 18 aus Königgrätz liegen. Diese Truppe wird bald verstärkt und erobert bis Ende Dezember einen wichtigen Teil Nordböhmens. Unklar sind die Verhältnisse in Bilin, vermutlich ist dort eine gemischte Garnison, die am 30. oder 31.10. unter tschechische Kontrolle kommt. In Pilsen liegen ca. 3700 tschechische Soldaten (überwiegend IR 35), mit denen bis Ende Dezember Westböhmen besetzt wird. Die meisten anderen Garnisonen sind wesentlich kleiner, sie alle werden bald durch Heimkehrer und neu Einberufene verstärkt. Fast keine Rolle bei der Besetzung der sudetendeutschen Gebiete spielen die Legionen, die erst ab Mitte Dezember zurückkehren.

Donnerstag, 31. Oktober 1918
Wien: Kaiser Karl I. entbindet die Soldaten von ihrem Diensteid und erlaubt ihnen den Eintritt in die Dienste der Nachfolgestaaten.

Prag: Der k.u.k. FML Jan Divis wird Oberkommandierender der tsl. Armee. Unter seinem Kommando erfolgt die Besetzung des Grenzgebiets und der Slowakei. Ungarische Truppen verlassen Prag, sie wurden zuvor unter massivem Druck entwaffnet. Der Prager NV verfügt eine Ausfuhrsperre für die meisten Lebensmittel und faktisch auch für Kohle.

Haida: Die 400 deutschen Feldjäger lösen sich unter tschechischem Einfluß auf. Die Garnison in Haida wird unmittelbar danach von einer Abteilung des IR 18 aus Böhmisch Leipa besetzt (erste Besetzung).

Freitag, 1. November 1918
Paris: Beneš verlangt von den Alliierten öffentlich die Besetzung der dt. Gebiete der böhmischen Länder.
Prag: Weiterer Abmarsch der ungarischen Truppen, mit Ausrüstung, aber ohne Munition. In Jitschin wird das zweite tsl. Regiment gebildet (IR 74), es erobert bald darauf das Riesengebirge. Es ist nicht ganz klar, welches das erste tsl. Regiment war, eventuell IR 28 oder SchR 8 in Prag oder IR 35 in Pilsen. Sie alle wirken an der Besetzung mit.
In Reichenberg beraten Politiker unter Vorsitz von Seliger über den Aufbau der Volkswehr. Es gehe dabei um eine provisorische Maßnahme zum Schutz der öffentlichen Ordnung. Auch in Wien soll ab 2.11. 1918 der Aufbau einer Volkswehr beginnen.
Bilin: Postamt von Tschechen besetzt. Eine Reihe von Grenz- und Knotenbahnhöfen werden ab 1. 11. 1918 von tsch. Militär besetzt, namentlich Grusbach-Schönau (Südmähren, am 2. 11. 1918 wieder geräumt), Oberhaid (Böhmerwald), Rumburg und Schönlinde (Nordböhmen), Neumark (bei Taus), Lobositz, vermutlich Gmünd (vor 7. 11. 1918) und eventuell Markt Eisenstein. Die Gleichzeitigkeit läßt auf eine zentrale Veranlassung schließen.

Sonnabend, 2. November 1918
Prag: Der reichsdeutsche Generalkonsul Freiherr v. Gebsattel ist beim NV. Er überbringt die offizielle Anerkennung der CSR durch das Deutsche Reich, äußert sich aber anscheinend nicht zu dessen Grenzen.
Reichenberg/Leitmeritz: Regierungsrat Abg. Hans Hartl wird Oberbefehlshaber in Deutschböhmen, sein Stabschef wird wenig später Oberstleutnant Kießling.
Lobositz (bei Leitmeritz): Um 8 Uhr werden Bahnhof und Bahnhofsamt besetzt, Zensur des Telegraphen- und Telefonverkehrs. Der Bahnhof hat große strategische Bedeutung.
Warnsdorf: In der Nacht auf 3. 11. 1918 rückt eine Kompanie des SchR 7 aus der städtischen Garnison ein.
Oberhaid (an der Grenze zu Oberösterreich): Bahnhof besetzt. Die Besetzung ist offenbar nicht dauerhaft, da der Ort am 4. 12. 1918 erneut besetzt wird.
Masaryk gibt telegraphisch die Anweisung zur Besetzung der Slowakei.

Sonntag, 3. November 1918
Waffenstillstand mit Österreich-Ungarn. Er erlaubt den Alliierten die Besetzung strategisch wichtiger Punkte, worauf Prag sich bald beruft.
Warnsdorf: Bahnhofskommando besetzt. Rumburg, Schönlinde (bei Rumburg): Bahnhöfe besetzt. Grenzübergang Neumark bei Taus durch tschechische Nationalgardisten aus Neugedein besetzt. Hostau (bei Bischofteinitz): 200 Soldaten und zusätzlich Sokoln aus Taus erbeuten sämtliche Wagen und 800 Pferde, Post- und Telegraphenamt besetzt; in der Nähe der Stadt werden MG postiert.
Aussig: Nach Unruhen Bildung einer Bürgerwehr, bald 650 gut Bewaffnete.
Znaim: Das deutsche Südmähren unter Kreishauptmann Abg. Oskar Teufel erklärt seinen Anschluß an Deutsch-Österreich und an das Land Niederösterreich. Teufel gehört zu den entschiedensten Befürwortern einer Verteidigung der deutschen Gebiete.

Montag, 4. November
Beneš fordert von den Alliierten erneut die Besetzung eines Streifens entlang der Grenze, diese lehnen ab. Deshalb Unterstellung der tschechoslowakischen Truppen unter französisches Oberkommando. Dies war oft Grund für fehlende sddt. Gegenwehr, es hätte aber auch die Geltung der Haager Landkriegsordnung von 1907 bedeuten müssen, die tatsächlich vielfach verletzt wurde. Diese Unterstellung war weitgehend ein formaler Akt, die Weisungen und Befehle wurden trotz engster Zusammenarbeit mit Frankreich weiterhin in Prag gegeben und zwar namentlich von V. Klofác, J. Divis und Dr. Scheiner.
Prag: Seliger ist zu Verhandlungen beim NV. Dort fällt die Äußerung von Alois Rašín „Mit Rebellen verhandeln wir nicht.“ Der tsch. nationale Sozialist Stribrny erklärte, schon in den nächsten Tagen würden die Engländer und Franzosen Deutschböhmen besetzen. Auch in der „Ernährungsfrage kehrte Seliger ohne eine Hoffnung auf Besserung der Lage aus Prag zurück.“
Prag: Konsul Gebsattel rät von der Entsendung reichsdt. Truppen oder auch nur Polizeiabteilungen nach Deutschböhmen ab, um die „uns günstige Stimmung“ der Tschechen nicht zu gefährden.
Wien: Eröffnung von Werbekanzleien für die Volkswehr. Die deutschböhmischen und sudetendeutschen Volkswehrabteilungen sind ein Teil der deutschöstereichischen Volkswehr.
Nürschan: Rücktritt der deutschen Stadtvertretung, Übergabe der Stadt an den tschechischen NV; vermutlich nach Besetzung der Stadt von Pilsen aus.

Dienstag, 5. November 1918
Wilson ermahnt die befreiten Völker der Monarchie zu „weiser Selbstbeschränkung“, warnt vor „Machtmißbrauch und Gewalttaten“. Beneš beschwört Kramár, „alle blutigen Zwischenfälle in den dt. Teilen Böhmens zu vermeiden“.
Eisenstraß (Böhmerwald) besetzt. Der Ort liegt südöstlich von Neuern an der Bahnstrecke nach Markt Eisenstein. Eventuell liegt ein Fehler in der Quelle vor und gemeint ist der Grenzort Markt Eisenstein.
Beginn der Besetzung der Slowakei durch schwache tschechische Kräfte (ca. 6.000 Mann) entlang der Bahnlinien, dabei Zusammenstöße mit Magyaren. – Zitat des Leiters der provisorischen Verwaltung der Slowakei Srobár: „Wer die Slowakei sich zuerst nimmt, der wird sie auch behalten.“

Mittwoch, 6. November 1918
Wien: Der Staatsrat lehnt die Anforderung von Truppen des Deutschen Reiches zur Bekämpfung tschechischer Besetzungen in Deutschböhmen, die der deutsch-nationale Staatsrat Wolf gefordert hatte, ab. – Lodgman v. Auen folgt Pacher als Landeshauptmann von Deutschböhmen nach. Die Dienststellen in Reichenberg rechnen damit, daß Telefongespräche mit Wien abgehört werden.
Prag: Triumphaler Einzug Kramárs. Die Frage Deutschböhmens wird tschechischerseits als überhaupt nicht strittig dargestellt. – Srobár kommt nach Skalitz in der Westslowakei, unmittelbar an der mährischen Grenze.

Do, 7. November 1918
Die deutschböhmische Regierung unter Lodgman protestiert erstmals gegen die Besetzung deutschböhmischen Gebiets durch tschechische Truppen. – Am selben Tag protestiert in Wien der Staatssekretär für Äußeres (=Außenminister) Victor Adler beim tsl. Gesandten Tusar gegen die Besetzungen. Generell sind die Aktivitäten der Landesregierungen in Reichenberg und Troppau inhaltlich und zeitlich mit Wien eng koordiniert, vgl. 12. 11. 1918, 17. 11. 1918 und 2. 12. 1918.
München: Revolution, Machtantritt der Regierung Kurt Eisner. Dies führt dazu, daß nun auch von Bayern keine Hilfe mehr zu erwarten war und sogar die über Bayern zurückkehrenden deutschböhmischen Regimenter entwaffnet wurden.
Der ungarische Regierungschef Károlyi schließt mit dem französischen General d´Esperey eine militärische Vereinbarung, die u. a. besagt, daß die Slowakei bis zum Friedensschluß unter ungarischer Verwaltung bleibt. Diese Vereinbarung wird von Prag nicht anerkannt. Anscheinend handelt es sich um eine Vorvereinbarung zu dem am 13. 11. 1918 unterzeichneten Belgrader Waffenstillstand.

Freitag, 8. November 1918
Wien: Die österreichische Regierung protestiert gegen das Vordringen der tsch. Militärverbände in das „deutschösterreichische Staatsgebiet“. – FML Adolf v. Boog wird Oberbefehlshaber aller deutschösterreichischen Streitkräfte.

Sonnabend, 9. November 1918
Deutsches Reich:
Abdankung des Kaisers, Ausrufung der Republik.
Sachsen: Eine sozialistische Regierung erringt die Macht. Sie hat keinerlei Verständnis für die deutschböhmischen Belange.
Wien: Der Staatsrat beschließt die faktische Übernahme der Gebietsgewalt (Administration) Deutschböhmens durch dessen Regierung. Dem waren seit dem 3. 11. 1918 völlig ergebnislose Verhandlungen mit Prag über Wirtschaftsfragen vorausgegangen, mit anderen Worten: die Blockade Wiens dauert an.
Beneš aus Paris an Kramár: „Es liegt in unserem Interesse, daß von dort (= dt. Gebiet) nicht etwa Nachrichten hierher gelangen, wonach man sich dort allzu selbständig organisiert und uns vor allem völlig unversöhnlich gegenübertritt ...“.
Auspitz (Südmähren) um 15 Uhr durch 30 Milizionäre aus Lundenburg besetzt, die am späten Abend um 240 Mann verstärkt werden; Plünderung von (vor allem jüdischen) Geschäften. Die Stadt liegt an der wichtigen Bahnstrecke Brünn-Lundenburg.

Sonntag, 10. November 1918
Wien: Die deutschösterreichische Regierung (Unterstaatssekretär Bauer/Äußeres) bittet Sachsen um Lieferung von Waffen und Munition für Deutschböhmen, vorgeschlagen werden 12 Geschütze, 3.000 Gewehre und 30 MG jeweils mit Munition. Der Einmarsch sächsischer Truppen wäre aber nur im alleräußersten Notfall erwünscht. Es sei nicht sicher, ob die Tschechen Nordböhmen zu besetzen beabsichtigten, und wenn, dann nicht schon in den allernächsten Tagen. Der Wunsch wird abgelehnt bzw. bleibt unbeantwortet.
Olmütz und Iglau: Die inzwischen tschechischen Garnisonen werden vereidigt.
Eger: Besetzung des Flugplatzes (bis 12.11. 1918) durch 100 Soldaten aus Pilsen unter Hauptmann Syroka.
Grusbach-Schönau/Südmähren: Besetzungsversuch. Um fünf Uhr früh kommen 60 Mann und zwei Offiziere, bewaffnet u. a. mit MG, aus Lundenburg. Von zwei Gendarmen abgewiesen, die behaupten, eine deutsche Übermacht sei im Anmarsch.

Montag, 11. November 1918
Deutsches Reich:
Waffenstillstand. Wien: Verzicht des Kaisers auf die Führung der Staatsgeschäfte.
Viktor Adler stirbt, sein Nachfolger als Staatssekretär für Äußeres wird Otto Bauer.
Die Regierung berät über die Verhandlungen mit Prag der letzten Tage. Die tsl. Regierung lehne es grundsätzlich ab, mit Deutschösterreich zu verhandeln. Es sei vielmehr klar zu Tage getreten, „daß tschechischerseits unsere Ernährungslage ausgenützt werden solle...“.
Eger: Nochmals 200 Soldaten rücken an und schaffen an Flugplatz und Kasernen alles militärisch Brauchbare weg, darunter 40 einsatzbereite Flugzeuge, die zerlegt auf LKW nach Pilsen gefahren werden.
Slowakei: Beginn des ungarischen Gegenstoßes gegen die tschechischen Besetzungen seit 5. 11. 1918; in den nächsten zehn Tagen Rückeroberung fast der ganzen Slowakei (soweit bisher tsch. besetzt).

Dienstag, 12. November 1918
Wien: Gründung der Republik Deutsch-Österreich, sie erklärt sich in Art. 1 als demokratische Republik und in Art. 2 als „Bestandteil der Deutschen Republik“.
Reichenberg: Die Landesregierung wendet sich wegen der tsch. Übergriffe erstmals an US-Präsident Wilson, parallel dazu ergeht eine deutschösterreichische Beschwerde an Wilson gegen die Besetzungen in Deutschböhmen.
Eger: Abzug der Tschechen, sie kündigen die Rückkehr an, die am 16. 12. 1918 erfolgt.
Eisenstein (Böhmerwald): Eine tsch. Patrouille nimmt vier Geiseln.
Kosten bei Teplitz: Der Bahnhof wird gegen 15 Uhr von einem größeren Trupp tsch. Soldaten besetzt (wahrscheinlich von Bilin aus), die Stadt selbst wird erst am 7. 12. 1918 besetzt.
Das IR 18 in Böhmisch Leipa beginnt mit der Besetzung aller Bahnhöfe an der Nord-Süd-Strecke von Tannendorf (bei Warnsdorf) über Leipa bis nach Weißwasser. Die große Ost-West-Verbindung von Eger über Karlsbad, Böhmisch Leipa und Aussig nach Reichenberg bleibt anscheinend noch bis ca. 26. 11. 1918 für die Deutschen nutzbar.
Bis spätestens 12. 11. 1918 wird Reichstadt bei Leipa besetzt.
Budapest: Graf Károlyi nennt den Einmarsch tsch. Truppen in der Slowakei eine himmelschreiende Ungerechtigkeit. „Wir verteidigen mit bewaffneter Gewalt das Land gegen jeden das Völkerrecht verletzenden Angriff, und diesen Streifbanden werden wir mit der Waffe entgegentreten.“ Ungarische Truppen seien bereits entsandt. Die Tschechen sind in Czolna (seit 12. 11. 1918), Rutka und kurzzeitig in Turz-St. Martin, Plünderungen und massenhafte Mitnahme von Lebensmitteln.

Mittwoch, 13. November 1918
Anschlußerklärung der Deutschen der böhmischen Länder an Deutsch-Österreich.
Wien: Äußerungen Staatskanzler Dr. Renner (Sozialdemokrat aus Südmähren): „Es gibt heute auf dem ganzen Festlande beinahe keinen anderen Imperialismus mehr als den der tschechischen Nation. Die Tschechen wollen die blühendsten Teile Deutschösterreichs ... sich unterwerfen. Leider haben sich tsch. Sozialisten, von jeher in den Reihen des Proletariats von unklarer Haltung, zu Führern dieses Imperialismus gemacht. Sie schicken in unser Gebiet Militärpatrouillen, sie bieten ... Militärformationen auf. (...) Wir gestehen es offen, wir haben gar keine Macht zur Abwehr; die Republik Deutschösterreich hat nichts als sonnenklares Recht.“
Wien: Die dt.-österr. Regierung drängt gegenüber der sächsischen Gesandtschaft darauf, von Sachsen bzw. Deutschland aus Deutschböhmen Lebensmittel zu liefern. Es bestünde sonst „höchste Gefahr, daß der Hunger auch die dem Deutschtum an sich durchaus treuen großen Massen der Bevölkerung in die Arme der Tschechen treiben werde“ (Bauer). Die Gesandtschaft setzt sich nachdrücklich, aber erfolglos dafür ein. Sie erhält zu keinem der drei Anliegen (Lieferung von Waffen und Munition, Lieferung von Lebensmitteln, Sicherung dt.-österr. Staatsgelder) eine offizielle Antwort aus Sachsen.
Rašín erklärt, „der NV könne sich auf Verhandlungen mit den Deutschböhmen nur unter der Voraussetzung einlassen, daß sich die Deutschen bedingungslos dem tschechischen Staat einfügen“
Zauchtel (bei Fulnek) von zwei Kompanien besetzt. Der Ort liegt an der wichtigen Bahnverbindung von Prerau nach Mährisch Ostrau. Am selben Tag wurden nordöstlich davon die Gerichtsbezirke Wagstadt und Königsberg (letzteres tschechisch) besetzt.
Orte im Bezirk Hohenelbe-Land (Riesengebirge) wurden bis um diese Tage herum besetzt, vermutlich von Teilen des IR 74 aus Jitschin.
Belgrad: Französisch-ungarischer Waffenstillstand unterzeichnet. Darin wird Ungarn die vorläufig weitere Verwaltung der Slowakei zuerkannt. Dies beflügelt den am 11. 11. 1918 begonnen ungarischen Gegenangriff. Dazu später Beneš: Die Nachricht vom ungarisch-französischen Waffenstillstand „schlug in Prag wie eine Bombe ein“.

Donnerstag, 14. November 1918
Schlagzeile der Prager Zeitung Bohemia (S. 1): „Die Tschechen wollen Deutschböhmen besetzen.“ Zitate: „Die in der Schweiz anwesenden Delegierten der Pariser tsch. Regierung erklären offen, daß der Prager tschechische NV imperialistische Ziele verfolgt. Es ist in Prag beschlossen worden ... eine regelrechte militärische Besetzung von ganz Böhmen durchzuführen. (...) Der militärische Plan zur Besetzung von Deutschböhmens stammt vom Sokolistenobmann Dr. Scheiner....“
Prag: Erste „Vollsitzung der tsl. Nationalversammlung“. Ihr gehören nur 40 Slowaken an, die anderen Volksgruppen (Deutsche, Ungarn usw.) sind nicht vertreten. Am selben Tag Regierungsbildung. Der Regierung Kramár (14. 11. 1918 – 8. 7. 1919) gehören u. a. an: Beneš (Außen), Svehla (Innen), Rašín (Finanzen), Klofác (nationale Verteidigung), Stefaník (Kriegswesen). Der NV hatte sich bis zu diesem Zeitpunkt nicht als Regierung, sondern als „Organ des einmütigen Volkswillens und Vollstrecker der Staatshoheit“ bezeichnet.
Hohenstadt (Schönhengstgau): Der tsch. NV erzwingt die Auflösung des dt. Gemeinderats, eventuell nach Besetzung der gemischtsprachigen Stadt bzw. nach Übernahme der Garnison (IR 93).
Das Flüchtlingslager bei Mährisch Trübau wird von 150 Mann Tschechoslowaken besetzt (anscheinend durch Soldaten des Olmützer IR 54).
Prachatitz (Böhmerwald) besetzt, vermutlich von Pisek aus (IR 11).
Warnsdorf: Die Zeitung „Abwehr“ fordert den Abzug der „tschechischen Besatzung“ und beklagt die tägliche Vermehrung der Garnison. Diese greift aber noch nicht in die Stadtverwaltung ein.
Liebenau b. Gablonz: In dem schon seit einigen Tagen besetzten Ort laufende Lebensmittelbeschlagnahmungen und Durchsuchung von Reisenden.
Bei Schimsdorf wird ein Deutscher von tsch. Soldaten mit 10 Schüssen verfolgt und am Oberschenkel schwer verletzt. Ein aus Reichenberg zu Hilfe geschicktes Auto mit vier Offizieren und MG wird von den Tschechen aufgebracht. Die Züge nach Reichenberg werden durchsucht. Die hier operierenden tsch. Truppen gehören vermutlich zum IR 36 aus Jungbunzlau.
Südmähren: Znaim: Die Volkwehr erreicht nach Verstärkung aus Wien Bataillionsstärke. Ein Trupp von 30 tschechischen Soldaten überschreitet die neue Grenze (= Sprachgrenze) bei Datschitz. Diese Gruppe wird am 15. und 16. auf 400 Mann verstärkt und tritt am 16. zur Besetzung von Zlabings an (IR 81 aus Iglau). – Die Pohrlitzer Zuckerfabrik wird von zwölf tsch. Soldaten besetzt. „Tschechische Beamte der Fabrik hatten hier ihre Hand im Spiele“.
Slowakei: Tschechische Truppen stehen 22 km vor Preßburg, die Eisenbahnbrücke bei Bösing wird von ihnen zerstört. Der tsch. Gesandte in Wien Tusar kündigt die Besetzung von Preßburg an, die aber erst am 1. 1. 1919 gelingt. Hundert ungarische Soldaten säubern die Ortschaften entlang der Strecke Preßburg-Tyrnau von Tschechen und fahren mit Panzerzug in Tyrnau ein. Dort Straßenkampf gegen ein tsch. Halbbataillon, die Tschechen verlieren 12 Mann, ein Ungar fällt (nach ungarischen Angaben 42 gefallene Tschechen und 5 tote Ungarn). Schließlich bewaffneter Abzug der Tschechen und Einmarsch der Ungarn unter dem Jubel der Bevölkerung, dabei ist die Stadt zu 85% slowakisch.

Freitag, 15. November 1918
Stand der Besetzung
: Besetzt sind Nürschan, Reichstadt, Rumburg, außerdem Teile des Kuhländchens mit Zauchtel, Wagstadt und Fulnek, in Südmähren Auspitz und kleine Gebiete im Sprachgrenzbereich bei Pohrlitz und Zlabings/Datschitz, ferner Ortschaften im Bezirk Hohenelbe-Land. – Alle Orte liegen an der Sprachgrenze oder bei tsch. Garnisonen. Insgesamt sind gut 5 % des deutschen Gebiets besetzt.
Aussig: 12.000 demonstrieren auf dem Marktplatz für das Selbstbestimmungsrecht, sozialdemokratische Redner. „Ernster und feierlicher Schwur“ daß uns weder tsl. Lockungen noch Drohungen abhalten werden, „den so lange ersehnten Zusammenschluß mit unseren dt. Brüdern im Reiche restlos durchzuführen“.
Gilschwitz bei Troppau: Schießerei zwischen einer aus Bennisch kommenden sddt. Volkswehreinheit und tschechischen Soldaten, ein sudetendeutscher Volkswehrmann wird getötet. Troppau: Parteienvertreter beraten auch über die Frage der Verteidigung. Mit Blick auf die Kriegsmüdigkeit der Menschen und im Vertrauen auf die Friedenskonferenz, „bei der die gerechte Sache ohnehin siegen müsse...“, spricht man sich entschieden gegen größere Kampfhandlungen aus.
Hohenmaut: Das SchR 30 unter Oberstleutnant Frantisek Beran erreicht nach Rückkehr von der italienischen Front in voller Ausrüstung seinen Garnisonsort. Das Regiment wird in den nächsten Tagen aufgefüllt, die Ausrüstung verbessert, „aufgeregt fieberte die Mannschaft neuen Aufgaben entgegen“.
Saaz: 40 Sokoln treffen ein, beschlagnahmen zwei Waggons Mehl und rücken wieder ab.
Budweis: Das nunmehr rein tschechische IR 91 wird vereidigt. Es erobert bald darauf den südlichen Böhmerwald.
Südmähren: Der Bahnhof von Mißlitz, 15 km nördlich von Grusbach, wird von 20 Mann unter Führung eines Offiziers besetzt (SchR 14 aus Brünn). „Der tschechische Stationsvorstand hatte sie herbeigerufen“. Znaimer Volkswehr verhindert gewaltsam die Besetzung des Bahnhofs Olbramskostel nordwestlich der Stadt.
Zlabings: Der Kommandant der Volkswehr Oberleutnant Strommer, der nur über 60 Mann verfügt, fordert angesichts des bedrohlichen Aufmarsches nördlich der Stadt aus Znaim (vergeblich) Verstärkung an.
Slowakei: Kramár erklärt in Prag: Tsl. Truppen seien „nicht zu Eroberungszwecken“ in die Slowakei eingerückt, sondern weil sie „von den Slowaken zu Hilfe gerufen worden“ seien.

Sonnabend, 16. November 1918
Dobrzan wird besetzt, offenbar aus Pilsen. Die gesamte deutsche Gemeindevertretung wird am Tag darauf vom NV in Pilsen mit Hilfe der tsch. Besatzung verhaftet. – Zlabings ist von 400 tsch. Soldaten eingekreist (IR 81).
Slowakei: Die militärische Lage der Tschechen ist kritisch, Dr. Scheiner fordert in Prag Soldaten zum sofortigen Einrücken auf, um „den Slowaken gegen die ung. Truppen zu Hilfe zu eilen“. Abends umfangreiche Einwaggonierungen von Soldaten Richtung Slowakei.

Sonntag, 17. November 1918
Wien: Die deutschösterreichische Regierung fordert von Masaryk und Kramár die Festsetzung einer Demarkationslinie; dasselbe schlägt die sudetenländische Regierung in Troppau vor (abgelehnt).
Prag: Eine Wiener Delegation bittet „im Namen der Menschlichkeit“ um die Freigabe von Milchlieferungen zur Rettung von Säuglingen und Kranken in Wien.
Halbstadt (bei Braunau) besetzt, die dortige reichsdeutsche Bahnhofswache wird zum Abzug gezwungen, „da der tsl. Staat sich mit Deutschland im Kriegszustande befinde.“ – Südmähren: 30 sddt. Volkswehrleute mit zwei MG erobern in der Nacht den Bahnhof von Mißlitz zurück.
Slowakische Politiker in Prag fordern Vorgehen gegen Ungarn. In den nächsten Tagen werde die Nationalversammlung das tschechische Heer zu den Waffen rufen, um die Slowakei „aus der magyarischen Sklaverei zu erretten“ (so Dr. Scheiner).

Montag, 18. November 1918
Wien: Ein nichtöffentlicher Erlaß des dt.-österr. Oberbefehlshabers Adolf v. Boog will zwar der „weiteren Besetzung sudetendeutschen Gebiets vorbeugen... dabei aber soll jede Gewalt vermieden werden“.
Zlabings wird gegen 2.30 Uhr morgens nach einem gut zweistündigen Feuergefecht besetzt. Dabei gab es einige Verwundete auf beiden Seiten, aber keine Toten. Bei dem Gefecht standen etwa 40 Zlabingser Volkswehrleute etwa 350 tschechischen Soldaten gegenüber. Der Kommandeur der Volkswehr, Strommer, wird nach dem Kampf krankenhausreif geschlagen und über Iglau nach Prag verschleppt.
Mies um 5 Uhr früh von einem größeren tsch. Kommando besetzt, die in fünf Waggons aus Pilsen kommen. Sie entwaffnen die am Bahnhof stationierte Heimwehr und dringen in drei Gruppen in die Stadt ein. In zweisprachigen Plakatanschlägen gibt ein Oberst Kestranek die Bedingungen der Besetzung bekannt. Über Kestranek ist weiter nichts bekannt, Kommandeur aller Truppen Westböhmen war spätestens ab 6.12. Oberstleutnant Slezácek (zugleich Kommandeur des Pilsener IR 35).
Die Besatzung von Zauchtel wird auf 500 Mann verstärkt; am Tag darauf wird berichtet, daß diese Truppen „im Anmarsch gegen Odrau sind, um von dort über Wigstadtl nach Bautsch zu ziehen...“, die vermutlich am 19./20. November 1918 besetzt werden.
Slowakei: Die Tschechen bereiten 3.000 Mann zur Besetzung vor. Bei Nagy Surany (27 km südöstlich von Neutra) und Szucsany (bei Turz-St. Martin) gab es heftige Kämpfe, die mit Erfolgen der Ungarn endeten. Die Tschechen wurden gegen Sillein zurückgeschlagen. Alle genannten Orte liegen an Bahnstrecken.

Dienstag, 19. November 1918
Paris: „Le Matin“ veröffentlicht eine von Edvard Beneš autorisierte und von ihm erläuterte Mitteleuropa-Konzeption. Beneš nennt in Le Matin auch Bedingungen für Lebensmittellieferungen an Wien. Ein Zitat: „Ich lege besonderen Wert darauf, daß die gemischten Gebiete in Nordböhmen okkupiert werden müssen. Dies wird umso leichter zu ermöglichen sein, als die Versorgung dieser Gebiete mit Lebensmitteln nur von Prag aus geschehen kann ...“ Etwa um dieselbe Zeit wird eine Denkschrift von Beneš veröffentlicht, in der ein freiwilliger Austausch von mehreren Millionen Exil-„Tschechoslowaken“ mit einem großen Teil der Deutschen der böhmischen Ländern angeregt wird. Dieser Vorschlag ist in den bekannten Denkschriften Benešs vom Januar 1919 für die Friedenskonferenz nicht mehr enthalten.
Die CSR annektiert die niederösterreichischen Orte Ober- und Niederthemenau und Bischofswarth.
Slowakei: Kramár erwidert eine Protestnote Károlyis vom 17. 11. mit der Behauptung, die Slowakei sei der CSR bereits zugesprochen worden, Beneš bemühte sich zur selben Zeit in Paris – vor allem mit Marschall Foch – fieberhaft eben darum und um eine Revision des für die CSR so gefährlichen Waffenstillstandes vom 13. 11. – In der Slowakei gibt es weitere kleinere Gefechte, die für die Tschechen ungünstig verlaufen.

Mittwoch, 20. November 1918
Washington: Aus einer Proklamation Wilsons: „Es hat Gott wohlgefallen, uns den Frieden zu geben. Er kommt nicht nur als bloßes Aufhören des Kampfes, ... er kommt als großer Triumph des Rechtes.“
Reichenberger Zeitung: „Durch andauernden Hunger... soll Deutschböhmen gefügig und dem tschecho-slowakischen Staate untertan gemacht werden. (...) Das Volk in den deutschböhmischen Städten leidet entsetzliche Not...“- Postelberg durch tsch. Soldaten aus Laun besetzt. Marienbad: Ein Massenauflauf verhindert die versuchte Besetzung der Stadt; die Soldaten kamen anscheinend von Süden über Mies aus Pilsen.
Fulnek (Kuhländchen) besetzt.
Südmähren: Station Mißlitz von 260 Mann endgültig besetzt (SchR 14), der Ort selbst wird erst am 5. 12. besetzt. Pohrlitz von 5 Offizieren und 150 Mann besetzt.
Prag: „Heute mittag wurde im Stile von 1914 die erste Batterie des neuaufgestellten tschechischen Artillerieregiments einwaggoniert, um auf den tschechisch-magyarischen Kriegsschauplatz abzugehen. Nachmittags folgten in feierlichem Aufzuge zwei tadellos ausgerüstete Infantriebataillone ...“.
Franzenshof bei Preßburg wird von den Tschechen beschossen.

Do, 21. November 1918
Wien: Die Stadt erhält nur 20 Waggons Kohle aus Böhmen, am Vortag waren es „erfreulicherweise“ 118. Der normale Tagesbedarf liegt bei 600 Waggons.
Neutitschein: In der Nacht vom 20./21. erreicht eine tsch. Militäreinheit die Stadt und besetzt sie ohne Widerstand. Die 74 Mann starke deutsche Volkswehr ergibt sich, weil sie Weisung hatte, nicht zu kämpfen. Mährisch Trübau von 140 Mann aus Olmütz (wohl vom IR 54) besetzt. Mißlitz: Der Steuerexekutor Daniczek aus M. Kromau wird im Bahnhof von Tschechen erschossen.
Postelberg: Schießerei zwischen Deutschen und Tschechen.
Warnsdorf: Tsch. Militär postiert am Hauptbahnhof Maschinengewehre.
Hartmanitz: Der von der Oberösterreichischen Landesregierung in Linz eingesetzte Bezirkshauptmann von Bergreichenstein Dr. Müller wird von elf tschechischen Soldaten vom Schreibtisch weg in einer Kommandoaktion entführt. Die tsch. Soldaten trugen deutsch-österreichische Uniformen und sprachen perfekt deutsch. Er wird ins tschechische Schüttenhofen verschleppt und dort verhört. Er wird dann nach Prag gebracht, in einem Ministerium nochmals verhört und am 28. 11. 1918 auf Veranlassung von Kramár freigelassen.
Slowakei: „Am heutigen Tag stehen die Tschechen nunmehr in der Linie Theben-Malacka-Trenczin-Olak-Nagybittse auf ungarischem Gebiet.“ Alle diese Orte liegen nahe der mährischen bzw. österreichischen Grenze, d. h. die Slowakei ist für Prag fast ganz verloren, mit Ausnahme der Bahnlinie von Göding bis kurz vor Preßburg.

Freitag, 22. November 1918
Wien: Aus einem Schreiben des tsl. Gesandten Tusar an die deutsch-österreichische Regierung: „... eine militärische Besetzung Deutschböhmens (ist) tschechoslowakischerseits nicht geplant.“
Linz: Ende November (ca. 22.) wird dem Bezirkshauptmann von Kaplitz, Schöbel, von österreichischer Seite die Lieferung einer Batterie Artillerie von Linz her zugesagt, falls diese zur Verteidigung benötigt würde. Die unerwartete Nichteinhaltung dieses Versprechens in der Nacht vom 2. auf den 3. 12. führt dazu, daß Kaplitz am Morgen des 3.12. nach Beschießung durch tschechische Artillerie verloren geht. Die Kaplitzer Volkswehr, die wußte, daß tschechische Artillerie im Anmarsch war, hätte sich auf den ungleichen Kampf wohl nicht eingelassen, wenn sie gewußt hätte, daß die zugesagte eigene Artillerie ausbleiben würde.
Tuschkau von tsch. Militär mit Geschützen aus Pilsen unter Führung eines Oberleutnants besetzt.
Böhmerwald: Hartmanitz besetzt.
Bergreichenstein von 250 tsch. Soldaten aus Schüttenhofen besetzt. Winterberg in der Nacht auf 23. 11. 1918 von ca. 200 „bewaffneten und teils uniformierten“ Tschechen besetzt. Laut einer plausiblen tsch. Zeitungsmeldung vom 25. 11. 1918 wurde Winterberg und Umgebung von 1200 Mann aus Schüttenhofen, Strakonitz und anderen Orten besetzt.
Südmähren: Von 195 Gemeinden sind 40 besetzt. Ab jetzt folgen in Südmähren täglich weitere Besetzungen.

Sonnabend, 23. November 1918
Prag: Der Beneš vertretende Leiter des Außenministeriums Dr. Veverka teilt dem dt. Generalkonsul Freiherr v. Gebsattel mit, daß Deutschböhmen der CSR von der Entente bereits absolut verbindlich zugesagt worden sei. Gebsattel glaubt das zunächst, erst am 19. 12. kommen ihm Zweifel. Es war auch falsch, wie nicht zuletzt die tschechoslowakische Note vom 20. Dezember zeigen sollte, in der die CSR die Hauptsiegermächte Frankreich, Großbritannien, USA und Italien um die nachträgliche Billigung der Besetzung ersuchte.
Staab (Egerland, südwestlich von Pilsen) besetzt. Wegstädtl von Militär aus Theresienstadt besetzt. Neuern (Böhmerwald) besetzt, wohl von Klattau aus. Zwittau besetzt (Datum nicht völlig sicher). Südmähren: Ein langsamer, konzentrischer Vormarsch von ca. 1000 tsch. Soldaten gegen Nikolsburg beginnt.

Sonntag, 24. November 1918
Kramár an Beneš: „Es scheint, als wenn man dort in Paris meine, daß bei uns ein Eldorado von Ruhe und Ordnung herrsche, während wir hier inzwischen vor Angst schaudern... und wie eine Erlösung auf alliiertes Militär warten.“ In dieser Äußerung spiegeln sich offenbar v. a. die Mißerfolge der Vortage in der Slowakei wieder.

Böhmisch Leipa: Der tsch. Versuch, die Verantwortlichen bei der Eisenbahn durch Tschechen zu ersetzen, führt zum Streik der deutschen Bediensteten, der sich am 26. 11. auf die gesamte nordböhmische Eisenbahn ausdehnt (3000 Streikende).
Die Sprachgrenzdörfer Wiska, Kleinbösig, Nossadel bei Dauba unter tschechischer Kontrolle.
Warnsdorf: In der bereits besetzten Stadt wird noch eine dt. Volkswehr gegründet. Dies ist eine extreme Ausnahme, normalerweise war die Auflösung der Volkswehr die erste Maßnahme nach Eintreffen von tschechischem Militär.
Böhmerwald: Wallern wird besetzt. Das Eisenbahndreieck Wallern-Winterberg-Prachatitz in den Händen des tsch. Militärs.

Montag, 25. November 1918
Wien: Protestnote von Außenminister Bauer an den tsl. Gesandten Tusar. Bauer beklagt die Nichteinhaltung der Zusage vom 22. 11. ferner die „flagrante Verletzung aller Grundsätze des Völkerrechts und der Menschlichkeit“. Erwähnt wird die Besetzung von Bischofteinitz, die also vor diesem Tag stattgefunden haben muß (wann genau?). Zitate: „Die dt.-österr. Regierung wird keinerlei Schritte unternehmen, um auf strittigen Gebieten die bestehenden Zustände und Machtverhältnisse zu ändern. Die dt.-österr. Regierung muß daher wohl voraussetzen, daß es sich bei den geschilderten Vorfällen nicht um den Willen der tschechoslowakischen Schwesterrepublik, sondern vorwiegend um pflichtwidrige Übergriffe untergeordneter Organe handelt.“ – Ein erneuter Erlaß des dt.-österreichischen Oberbefehlshabers v. Boog lehnt praktisch wiederum eine militärische Verteidigung ab.
Wiesa (bei Oberleutensdorf): Einrücken tschechischen Militärs, das wieder verdrängt wird, Kämpfe, vgl. 30. November.
Slowakei: Eine offizielle ungarische Meldung vom 27. 11. setzt voraus, daß das tsch. Militär spätestens am 25. 11. seine Offensive in der Slowakei wiederaufgenommen hat, Zitat: „Die tsch. Streitkräfte, die Tyrnau besetzt haben, setzten gestern (= 26.11.) ihren Vormarsch gegen Vag Keresztur und Ziffer fort. (...)“ Die genannten Orte liegen im äußersten Westen der Slowakei, der erneute tschechische Vorstoß nach dem ersten Verlust der Slowakei Mitte November 1918 hatte also zunächst nur sehr geringen Erfolg.

Dienstag, 26. November 1918
Wien: Die Versorgungslage spitzt sich infolge der andauernden Blockade immer mehr zu. In dieser Lage beginnt die österreichische Regierung mit einer Diskussion der Sudetenfrage, die der Abgeordnete Oskar Teufel, Kreishauptmann von Südmähren, am Vortag gefordert hatte. Dabei wendet sich die Mehrheit der Staatsratsmitglieder gegen die Forderung Teufels, wirksame Maßnahmen zur Verteidigung Südmährens zu ergreifen. Er beantragt die Stellung von 1000 Mann Volkswehr mit 12 MG und 4 Geschützen. Stattdessen wird nur der Beschluß gefaßt, das Gebiet vor tschechischen Einfällen zu schützen, ohne Mittel und Wege dafür zu benennen. Eine andere Quelle: Lodgman erstattet im österr. Staatsrat eingehend „Bericht über das völkerrechtswidrige Vorgehen der Tschechen in Deutschböhmen“. Das Vorgehen der marodierenden und plündernden tsch. Truppen nehme immer unerhörtere Formen an. Es müsse dafür gesorgt werden, daß die Entente davon Kenntnis erhalte. Forderung nach Abzug der tsch. Truppen aus Deutschböhmen. Laut Bohemia trifft der Staatsrat Beschlüsse, die dem Standpunkt Lodgmans entsprechen, „daß dem Terrorismus der Tschechen in Deutschböhmen von deutscher Seite Gewalt entgegengesetzt werden müsse“.
Böhmisch Leipa: Streik bei der gesamten nordböhmischen Eisenbahn (3000 Beschäftigte). Der Ausstand dauert bis zum 16. 12. 1918, als sich die nordböhm. Eisenbahn dem Prager NV unterstellt. In der Zwischenzeit übernehmen Soldaten des IR 18 aus Leipa den Bahndienst für den tsch. Eigenbedarf und für Patrouillenfahrten. Dieser Streik (wenn nicht bereits der Eingriff vom 24. 11. 1918) führt dazu, daß Deutschböhmen verkehrstechnisch zweigeteilt wird.
Gastorf (bei Leitmeritz): Eine kleine Volkswehrabteilung von etwa 12 Mann versucht am späten Abend vergeblich die Besetzung durch tsch. Militär aus Leitmeritz abzuwehren. Bei dem Kampf werden zwei Deutsche und ein Tscheche getötet.
Pladen bei Jechnitz: Volkswehrleute unterstützt durch eine Menschenmenge wehren einen tsch. Besetzungsversuch ab.
Lundenburg und Göding: Truppenansammlung für den geplanten Vorstoß auf Znaim.

Mittwoch, 27. November 1918
Paris: Beneš erreicht den Widerruf des für die CSR so gefährlichen französisch-ungarischen Waffenstillstandes vom 13. 11. 1918 durch Außenminister Pichon. Ab diesem Zeitpunkt neuerliche bzw. beschleunigte Eroberung der Slowakei und der deutschen Gebiete. Beneš in einem Brief an Kramár: „Ich bitte, die Beziehungen zu den Magyaren und Deutschen so viel als möglich einzuschränken ... Wir sind von der Welt anerkannt, sie nicht. Und das wichtigste: sie werden nicht anerkannt. Ich mache aufmerksam, daß mit ihnen über den Frieden nicht verhandelt wird.“
Brüx: Um 21 Uhr treffen 350 Mann des Prager SchR 8 über Laun kommend ein. Die Stadt hat eine starke, kampfbereite Volkswehr, nachts gibt es erste Zusammenstöße. Aus mehreren Gründen ist Brüx für den Prager NV strategisch wichtig: Es liegt im Zentrum des böhmischen Kohlereviers, es hat eine starke tsch. Minderheit, es ist eine Hochburg der Deutschnationalen und es liegt an der Engstelle des deutschen Sprachgebiets zwischen den deutschen Schwerpunkten in Nord- und Westböhmen. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß das tsch. Einrücken in Brüx bereits eine Reaktion auf den Widerruf des o.g. Waffenstillstandes vom 13. 11. 1918 war, mit dem Prag in der Slowakei den Rücken frei bekam. Die Frage könnte allerdings nur anhand tschechischer Archivquellen sicher beantwortet werden.
Landskron kurz nach Mittag von 300 Tschechen besetzt „erst nachdem ihnen zwei Landskroner Tschechen versichert haben, daß kein Widerstand zu erwarten“ ist; Proteste, Geiselnahmen angedroht.

Do, 28. November 1918
Brüx
wird in mehrstündigem heftigem Kampf von den Tschechen erobert. Auf deutscher Seite sechs Tote und mehrere Schwerverletzte, die Zahl der Opfer auf tschechischer Seite ist unbekannt. Die weit überlegenen tschechischen Truppen erhalten im Laufe des Tages noch Verstärkung aus Prag, die von der Brüxer Volkswehr aus den Nachbarorten angeforderte Verstärkung bleibt dagegen aus.
Die Besetzung von Brüx führt zur verkehrstechnischen Dreiteilung Deutschböhmens in einen westlichen Teil von Eger bis Brüx (in dem der Verkehr von der Eisenbahndirektion Karlsbad her aufrechterhalten wird), in einen mittleren Teil von Brüx bis Böhmisch Leipa (auch dort wird der Eisenbahnverkehr noch für kurze Zeit aufrechterhalten, von Teplitz aus bis zu dessen Besetzung am 7. 12. 1918) und in einen östlichen Teil von Leipa bis Gablonz (Eisenbahndirektion Reichenberg).
Unrichtig ist die Darstellung bei Molisch, die später von sehr vielen sudetendeutschen Publikationen übernommen wurde, daß Deutschböhmen entlang der Elbe geteilt worden sei. Tatsächlich wurde das Elbetal erst relativ spät besetzt, nämlich Mitte Dezember.
Wekelsdorf (bei Braunau) besetzt. Budweis: Der Oberbefehlshaber der tsl. Streitkräfte (Jan Divis) befiehlt dem IR 91 in Budweis die Besetzung des politischen Bezirks Krummau.
Südmähren: Die Bahnstation Damitz-Tullnitz bei Mißlitz wird besetzt.

Freitag, 29. November 1918
Minister Pichon bestätigt Beneš die Linie vom 27. 11. 1918, „nach dem Beispiel der Franzosen nicht mit den Deutschen zu verhandeln.“ Beneš an Prag: „...ist es notwendig, jedwede offizielle Verhandlung mit Deutschen und Magyaren zu beenden.“ Man dürfe sich zu ihnen nicht herablassen.
Wien: Aus einem Telegramm des dt.-österreichischen Staatssekretärs Zerdik an die Alliierten in Paris: „Kohle für Wohnungsbeheizung steht überhaupt nicht mehr zur Verfügung. (...) Den Mühlen und Bäckereien droht in wenigen Tagen die Betriebseinstellung. Vorräte für den Bahnbetrieb sind keine vorhanden. Die Gas- und Elektrizitätswerke in Wien können ... noch zwei bis drei Wochen in Betrieb gehalten werden.“ Die tsl. Politiker schweigen zur Versorgungslage Wiens, bzw. bestreiten trotz der offenkundigen Tatsachen jeden Zusammenhang zwischen politischen und Wirtschaftsfragen (so Tusar).
Das österr. Staatsamt für Äußeres erklärt, bewaffneter Widerstand komme nicht in Frage; beide Regierungen betrachteten alle gewalttätigen Eingriffe als verwerflich und wünschten freundschaftliche Beziehungen.
Laut tsch. Pressemeldungen soll in Mähren der Dualismus in der Verwaltung, also das Kernstück des Ausgleichs von 1905, abgeschafft werden. Dies geschieht auch wenig später.
Brüx: Die letzten deutschen Volkswehrleute ergeben sich nach Bedrohung der Beschießung der Stadt mit Artillerie; Verhängung des Standrechts (14 Uhr). Tschechische Zeitungen weisen die Schuld an den Kämpfen in Brüx den Deutschen und namentlich auch der „Hetztätigkeit des deutschen Sozialdemokraten Seliger“ zu. Tatsächlich war der spiritus rector des Widerstandswillens der Brüxer Volkswehr wohl Bürgermeister Dr. Josef Herold.
Krummau besetzt von vier Kompanien des IR 91 aus Budweis (17 Uhr). Um 20 Uhr folgen zur Verstärkung vier Geschütze des Feldartillerieregiments 24, ebenfalls aus Budweis.
Mährisch Trübau: Tsch. Soldaten schießen auf dem Stadtplatz auf Zivilisten, fünf Tote und über zehn Verwundete.

Sonnabend, 30. November 1918
Die tsch. Regierung sperrt den Telegrammverkehr Berlin-Wien; abgehört wurde er wohl schon vorher.
Wiesa-Oberleutensdorf nach Kampf besetzt, dabei zwei Deutsche getötet und fünf verwundet (die Namen der Getöteten sind bekannt, das Datum ist aber nicht ganz gesichert). Böhmerwald: Oberplan wird im dritten Anlauf mit starker Übermacht besetzt. Vorgehen von mehreren Seiten gegen den Ort und Drohung mit Beschießung durch Artillerie.
Znaim: Das lang erwartete Wiener Volkswehrbataillon trifft ein, es zählt 9 Offiziere und 350 Mann, dazu MG und weitere Waffen. Es kann zwar immer noch nicht jeder Volkswehrmann bewaffnet werden, aber Südmähren verfügt nun über 1500 Bewaffnete. – Das tsch. Vorgehen gegen Frischau (bei Grusbach) wird durch das Feuer der Volkswehr gestoppt, offenbar ohne Verluste. Die Tschechen ziehen sich auf Mißlitz zurück, die Volkswehr auf Grusbach. Das Gebiet dazwischen, ca. 15 Kilometer breit, wird vereinbarungsgemäß zur neutralen Zone, in der keine der Seiten militärische Bewegungen durchführt, es sei denn, daß Prag oder Znaim etwas anderes befehle. In diesem Falle solle die Gegenseite aber vorher verständigt werden; diese Zusage wird wenig später von tsch. Seite nicht eingehalten.
Der Abwehrerfolg vom 30.11. 1918 war die einzige nennenswerte sddt. Rückeroberung von bereits tsch. besetztem Gebiet.

Sonntag, 1. Dezember (1. Advent) 1918
Stand der Besetzung:
Seit 15.11. 1918 wurden zusätzlich besetzt ein Gebiet westlich von Pilsen (Tuschkau, Staab, Mies), im Nordwesten Brüx und Postelberg; im Norden Wegstädtl und Nixdorf; im Nordosten Wekelsdorf. Außerdem ca. 80% des Böhmerwaldes, ein großer Teil des Schönhengstgaus, der Rest des Kuhländchens und ein bedeutender Teil Südmährens mit Pohrlitz und Zlabings. Insgesamt ist gut ein Viertel des deutschen Gebiets der böhmischen Länder besetzt.
Prag: Antideutsche und antisemitische Ausschreitungen auf dem Graben und in deutschen Lokalen. „Es scheint, daß die Ausschreitungen ... von langer Hand vorbereitet worden waren“. Sie richten sich v. a. gegen deutschsprechende Offiziere. Rufe: „Hängt Sie auf! Die deutschen Juden müssen aufgehängt werden.“ Offiziere wurden geohrfeigt, mit Stöcken geprügelt. Für eine gezielte Planung der Ausschreitungen spricht das Datum: Der 1. 12. 1918 war der Jahrestag der antideutschen und antisemitischen Krawalle des Jahres 1897 in Prag, auch Anfang Dezember 1908 gab es solche Krawalle in Prag.
Wien: Protestnote wegen der Vorgänge in Brüx und der Verhaftung von Bürgermeister Dr. Herold, dessen Freilassung gefordert wird. Es wird erneut beklagt, daß die schriftliche Zusage Tusars vom 22. 11. 1918, wonach keine Besetzung Deutschböhmens geplant sei, gebrochen und frühere Noten nicht beantwortet wurden. Die wiederkehrenden Freiheitsverletzungen von dt. Volksvertretern etc. „müßten unweigerlich dazu führen, daß die sonst geduldige deutsche Bevölkerung zu gewalttätigen Gegenmaßnahmen greift, die von der Regierung nicht mehr verhindert werden könnten...“ (Hervorhebung nicht im Original). Als General v. Boog aus Znaim der Abwehrerfolg von Frischau/Grusbach vom Vortag gemeldet wird, erwidert er den Verantwortlichen: „Keine Gefechte liefern!“.
Wien: Die deutschösterreichische Volkswehr hat einen Mannschaftsstand von insgesamt 46.000 Mann (Sollstärke: 79.000 Mann), davon 4.000 in Deutschböhmen (ohne Böhmerwald) und 5.000 im Sudetenland. In Südmähren und im Böhmerwald sind es je etwa 1500 Mann. Die Gesamtstärke der Volkswehr in den deutschen Gebieten der böhmischen Länder beträgt am 1. 12. 1918 also 12.000 Mann. (Soll-Stärke: 1.350 Offiziere und 27.000 Mann mit etwa 58 Geschützen, 600 MG und 55 Flugzeugen).
Die Volkswehr ist im Sudetenland wesentlich besser organisiert als in Deutschböhmen. Im Sudetenland umfaßt sie 5000 Mann in 13 voll aufgefüllten Bataillonen (Sollstärke 383 Mann). In Deutschböhmen hat sie nur 4.000 Mann bei einer Soll-Gliederung von 41 Bataillonen. Die Stärke beträgt hier also (rechnerisch) nur 98 Mann pro Bataillon, viele Bataillone haben anscheinend überhaupt nicht existiert. Ein wichtiger Grund für den Rückstand Deutschböhmens gegenüber dem Sudetenland ist die dort schlechtere Ernährungslage. Der Hunger demoralisiert die Bevölkerung und bringt sie teilweise sogar dazu, Waffen und Munition gegen Lebensmittel einzutauschen.
Prag: Zwei Kompanien des Prager IR 28, insgesamt 8 Offiziere und 300 Mann, werden in Richtung Teplitz-Schönau entsandt. Sie rücken über Brüx und Oberleutensdorf vor und besetzen am 3. 12. 1918 Ossegg.
Braunau mit 1.200 Mann besetzt. Dies ist eine vergleichsweise sehr großes Kontingent, vor allem weil kein Widerstand zu erwarten war. Nicht zuletzt deswegen wird die Besetzung verstanden als Anmarsch in Richtung auf das von der CSR beanspruchte Glatz in Schlesien. Die Regimentszugehörigkeit ist unbekannt, eventuell IR 18 aus Königgrätz.
Liboch (bei Wegstädtl): Bahnstation und städtische Ämter von 30 Soldaten unter Führung des Bürgermeisters von Melnik besetzt, Gemeindevertretung aufgelöst. Wagstadt (Kuhländchen) nach kurzer Schießerei besetzt, fünf Verletzte, davon einer schwer (alles Zivilisten).
Krummau: Das Kommando des IR 91 aus Budweis (seit 29. 11. in Krummau) unternimmt eine Inspektionsfahrt bis Wallern. Der Zug ist mit zwei MG bestückt. Südmähren: Wien kündigt die Entsendung von 1000 Matrosen Volkswehr mit Artillerie nach Nikolsburg an. Znaim: Gegen 23 Uhr rückt die am Vortag angekündigte Batterie 86 Mann und 4 Geschütze, ein.

Montag, 2. Dezember 1918
Reichenberg: Die Landesregierung erwägt nochmals – zum letzten Mal – die „Aufstellung eines deutschböhmischen Heeres“. „Seliger .. forderte »Oberstleutnant« Kießling auf, in Deutschböhmen eine allgemeine Mobilisierung durchzuführen und ein Heer aufzustellen, das dem weiteren Vordringen der Tschechen Einhalt gebieten solle. .. Kießling schilderte die Unmöglichkeit solcher Maßnahmen. Nach längeren Beratungen schlossen sich die meisten Politiker seiner Meinung an, darunter auch Dr. Lodgman von Auen. Eigentlich schon damit war das Schicksal Deutschböhmens entschieden. Die Tschechen hatten fortan keinen bewaffneten Widerstand mehr zu fürchten....
Diese Bewertung eines Zeitzeugen aus Leitmeritz (wahrscheinlich ein Offizier und Mitglied des Stabes von Hartl und Kießling) trifft vor allem deswegen höchstwahrscheinlich zu, weil am selben Tag in Wien ebenfalls beschlossen worden sein muß, von weiterem Widerstand abzusehen, ja sogar auf weitere Proteste gegen die fortschreitenden Besetzungen zu verzichten, um wieder Kohle und Lebensmittel aus den böhmischen Ländern zu bekommen. Dies kann zuverlässig geschlossen werden, weil einerseits in den folgenden Tagen österreichische Proteste gegen die sich sogar noch beschleunigende Besetzung ausblieben und weil andererseits die tschechischen Lieferungen ab 5. Dezember 1918 wieder zunahmen und die Verhandlungen über Handelsverträge nun rasche Fortschritte machten. Auch zeitgenössische Pressestimmen und Politikeräußerungen lassen an diesem Zusammenhang keinen Zweifel.
Am 11. und 13. Dezember wurden wichtige Handelsverträge mit Prag unterzeichnet, während die Zentren Deutschböhmens fielen und die Landesregierung fliehen mußte. Nachdem diese Verträge unter Dach und Fach waren, protestierte Wien am 13. Dezember 1918 wieder gegen die fortschreitenden Besetzungen. Die Datierung der grundlegenden Entscheidung Wiens gegen einen bewaffneten Widerstand auf den 2. Dezember 1918 wird schließlich durch den Verlauf des Kampfes um Kaplitz am 3. Dezember 1918 (s. u.) bestätigt. Das „Angebot“ von Außenminister Bauer an Prag vom 3. Dezember 1918 in der Nationalversammlung („schiedsgerichtliche Lösung“ der Sudetenfrage) mit den Erläuterungen vom Folgetag, an dem in Wien die Versorgungskrise kulminierte, war also – eine Kapitulation. Es gibt klare zeitgenössische sudetendeutsche Reaktionen in diesem Sinne und auch entsprechende Kommentare der Wiener Zeitungen nach dem 4. Dezember 1918. Der letzte Nachweis anhand von Beratungsprotokollen der verantwortlichen Wiener Stellen fehlt allerdings noch.
Prag: Die antideutschen und antisemitischen Ausschreitungen vom Vortag setzen sich fort.
Budweis: Zusätzlich zur gestern verladenen Artillerie werden einige Kompanien des IR 91 verladen. Kaplitz rechnet mit Angriff, auf den es sich durch Aushebung von Schützengräben und Einrichtung von MG-Nestern vorbereitet hat. Am späten Nachmittag wird im Bezirk Kaplitz Großalarm gegeben, woraufhin aus der gesamten Umgebung Volkswehrmänner eintreffen.

Diese Dokumentation wurde erstmals veröffentlicht im Mitteilungsblatt der Sudetendeutschen Landsmannschaft, Datum, Nummer und Seitenzahl werden nachgeliefert, sobald ich sie erfahre. ML 2002-04-02

Teil III und Schluß werden folgen, so hoffe ich.